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Abgelegener Friedhof am Westtor

I

Iwamoto Shai

Guest
Abgelegener Friedhof am Westtor



Der Friedhof am Westtor ist ein Friedhof, der ziemlich weit abgeschieden von der Zivilisation liegt. Hier werden meist die Leute begraben oder bestattet, die aus ärmlichen Familien kommen und für ein luxuriöses Grab kein Geld besitzen. Da die Armutsrate nicht zu unterschätzen ist, häufen sich die Grabsteine hier, alles sieht irgendwie ein wenig spärrlich und ungepflegt aus, was dazu führt, dass ein jeder, der an dem Friedhof vorbeiläuft schnell das Gefühl der Trauer und des Mitleidens empfindet.

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"Shai! Komm runter zum Essen!", hallte die laute Stimme von Ichinose-san, der Leiterin des Waisenhauses, durch die Gänge, um das blonde Mädchen - welches schon seit Tagen deprimiert und traurig in ihrem Zimmer saß - von ihrer Trauer abzulenken. Sie musste etwas essen, damit sie zu Kräften kam, doch das Mädchen bewegte sich nicht von ihrem Bett weg, saß mit gesenktem Kopf auf der Bettkante und starrte geistesabwesend den kahlen Parkettboden an, in dem sich leicht ihr Gesicht spiegelte. Zugegeben, Shai sah nicht gerade gesund aus, denn die Mission, die sie vor ca. einem Monat 'bewältigt' hatte, setzte dem Mädchen noch mehr zu, als überhaupt gedacht. Vor einem Monat hatte sich die Iwamoto noch gewünscht, diese Mission anzutreten, doch hätte sie gewusst, wie sie endete, hätte sie alles versucht, um ihre Freunde zu überreden, eine andere Mission zu nehmen. Es war einfach nur schrecklich. Was genau passiert war, wusste das Mädchen nicht, denn zu dem Zeitpunkt der Explosion befand sie sich alleine im Schlafraum und kämpfte mit ihrem hohen Fieber. Shiro, der eigentlich bei ihr war, stürmte zur Quelle der Explosion und kam nie wieder zurück... Keinen, aber auch wirklich keinen aus den zwei Teams hatte das Mädchen an der Unfallstelle wiedergesehen. Sie waren alle fort. Weit weg von ihr und würden wahrscheinlich nie wieder kommen. Ob sie tot waren oder nicht, wusste Shai nicht, doch brachte das Hoffen auf eventuelle Wiederkehr der Teammitglieder auch nicht viel... Um ehrlich zu sein, wusste das Mädchen nicht einmal, was sie überhaupt noch glauben sollte und ob sie jemals in der Lage werden würde, klar zu denken. Wie oft wollte man ihr die wichtigsten Personen noch wegnehmen? Wie oft wollte das Schicksal sie denn noch leiden sehen? War es nicht genug, wie sie sich gefühlt hatte.. musste man denn noch etwas draufsetzen? "WIE OFT NOCH?!", beendete Shai laut ihre gedanklichen Fragen und starrte zornig ihr leicht gespiegeltes Bild im Boden an. Ihre Augen hatten sich geweitet und wenn man genauer hinschaute, bemerkte man, die roten Äderchen in ihren Augäpfeln, die anhand von Schlafmangel nun deutlich sichtbar waren. "SHAI! Hast du mich gehört?!", ertönte wiederholt die Stimme Ichinose-san's auf dem Gang, doch Shai stand nur zornig auf, öffnete ihre Zimmertür und brüllte genauso laut zurück: "LASS MICH IN RUHE! ICH HABE KEINEN HUNGER!" Dass die alte Frau des Waisenhauses nichts dafür konnte, wusste Shai selbst, doch wenn man dem Mädchen keine Ruhe ließ, bekam der Nächstbeste eben ihre ganzen Aggressionen auf einmal ab. Wieso verstanden diese nervigen Leute nicht, dass Shai einfach Ruhe brauchte? ~ Es war nicht zum aushalten. Warum hatte die Hokage beschlossen, das Mädchen wieder ins Heim zu schicken? Nur, weil Hiyashi tot war und Toki bewusstlos im Krankenhaus lag? Ja, Hiyashi war tot, das war keine Lüge. Da die Hokage von Mizu bzw. Saya keine Missionsberichte geschickt bekommen hatte, sandt sie einige Truppen aus, um den zwei Teams Unterstützung zu bieten - darunter auch Hiyashi und Toki, da sie in Sorge nichts machen konnten, außer sich dem Hilfstrupp anzuschließen. Es ging alles viel zu schnell, sodass Shai noch heute keinen klaren Gedanken fassen konnte. Sie weiß nur noch, wie es zu einer Explosion kam, das Haus über sie zusammenfiel, sie herausgeholt wurde und man kämpfte... Irgendjemand kämpfte und fiel dann zu Boden. Es roch nach frischem Blut und wenn sich das Mädchen nicht irrte, hatte sie sogar gespürt, wie es langsam unter ihre Fingerkuppen eine Lache bildete. Sie selbst wurde nicht getroffen, aber ein Mensch, der ihr im Leben sehr wichtig war, obwohl sie lange Zeit nichts mit ihm zu tun hatte: Iwamoto Hiyashi. Er warf sich vor Toki und Shai, damit die beiden fliehen konnten und starb bei dem Kampf gegen einen Kiri-Nuke. Seine Leiche wurde zwei Tage später gefunden und auf dem Friedhof beim Westtor begraben. Eine Beerdigung fand nicht statt, dafür fehlte das nötige Geld. Es war traurig, wie man mit den Leuten umging, die in Armut lebten... doch Shai konnte nichts anderes tun, als an seinem Grab zu stehen und ein Räucherstäbchen für ihn anzuzünden. Und wie ging es Toki? Während des Fluchtversuches hatten einige Nukenin ihn und seine kleine Schwester aufgeholt, den Mann bewusstlosgeschlagen und das Mädchen außer Gefecht setzen wollen, doch glücklicherweise kam schnell Verstärkung. Die Verletzungen, die Shai erlitt, sind schon lange Zeit am heilen und spüren tut sie davon auch nichts mehr... Toki aber hat es heftiger erwischt. Dank des Aufpralls fiel er ins Koma und liegt seit einem Monat unbeweglich in einem Bett des Krankenhauses. Jeden Tag hofft das Mädchen, dass er aufwachen würde und sie wenigstens noch einen hatte, den sie als 'Familie' bezeichnen konnte - doch ob das Schicksal mitspielte? Sollten sie ihr Toki doch auch noch nehmen, dann könnte man sie sehen, wie sie langsam zugrunde geht... ~ Selbst Yuto ist verschwunden. Weg. Nicht auffindbar. Verschollen. Der Junge hatte für kurze Zeit das Gefühl bekommen, wieder Familie zu haben und kann es nun nicht mehr genießen. Warum? WEIL ER WEG IST! Genauso....

"Genauso wie du...," schluckte das Mädchen und betrachtete ihre Handfläche. Wieso sie das tat, wusste sie auch nicht - es war einfach eine Geste, die sie einnahm, wenn sie an etwas wichtiges dachte. Doch an was dachte sie? Nach ihrem Gesichtsausdruck zu urteilen musste es etwas sein, was ziemlich wichtig für das Mädchen war und sie nach dieser Mission sehr beschäftigte. Er war nicht hier. Nicht hier bei ihr. Er war genauso weg wie alle anderen. Zumindest dachte sie das, denn Shai wusste - dank ihrer Verbarrikadierung innerhalb des Zimmers - nicht einmal, dass Iwari heil aus der Mission herausgekommen war. Auch Mizu befand sich nun wieder wohlauf in Konohagakure - doch das war alles nicht so sonderlich wichtig für sie, wenn ER nicht da war. Sie kannte ihn nicht lange, doch war dies lange genug, um zu wissen, dass er von nun an in ihrem Leben einen wichtigen Platz hatte. Auch jetzt, da Shai alleine ist, kann sie es nicht übers Herz bringen, ihn zu vergessen. Niemals würde sie ihn vergessen können... Niemals. Die Momente, die sie zusammen erlebt haben, waren immer noch in ihrem Kopf, gingen nicht weg und wiederholten sich Tag für Tag - auch in ihren Träumen. Von keinem anderen wurde sie in ihren Träumen heimgesucht, nur von IHM. Deswegen fiel es dem Mädchen auch so schwer, alles hinter sich zu lassen, das Leben neu anzufangen und wieder zu lachen - so, wie sie es früher getan hat. Es ging nicht. Aber sie wollte trotzdem nicht, dass diese schönen Erinnerungen für immer weg waren. Shai wollte sie aufbewahren, für immer. "Mhm...," murmelte sie in die Stille hinein und spielte mit den Fingern an ihrem Armkettchen herum, welches lässig an ihrem rechten Handgelenk baumelte.

"Ich war mir sicher, dass, solange du das Kettchen bei dir hast... wir uns irgendwann nochmal über den Weg laufen müssen... schließlich habe ich es dir nur geliehen." ~

Ein Flashback? Anzunehmen, denn nichts anderes kreiste zurzeit in ihren Gedanken und als ob das nicht schon alles gewesen wäre, wurde Shai der Flashback auch noch zuviel, sodass sie ohne nachzudenken, das blöde Kettchen einfach gewaltsam abriss und in die nächste Zimmerecke beförderte. Wenn sie könnte, wäre sie schon lange in Tränen ausgebrochen, doch der Schmerz war einfach zu tief - es schien, als habe sie verlernt, zu weinen. Wenn sie jetzt weinen könnte, wäre alles viel einfacher für sie, denn mit Weinen war es einem bekanntermaßen möglich, halbwegs wieder auf den rechten Weg zu kommen. Doch für Shai kam wohl alles zu spät. Wie oft hatte sie versucht, den rechten Weg wiederzufinden? Irgendwann war auch das stärkste Energiebündel zu müde dafür. "Ich hätte es nicht zurücknehmen dürfen..." Urplötzlich waren die Gedanken wieder bei ihrem Armkettchen, welches so seelenruhig und zerstört auf dem Parkettboden lag. Wenn er es noch hätte... wäre vielleicht alles anders gekommen? Er hätte sie aufsuchen können. Aber... vielleicht hatte er denselben Gedanken wie sie: Es hat keinen Sinn, nach jemandem zu suchen, von dem man nicht wusste, ob er noch lebte oder bereits das Zeitliche gesegnet hatte. Wie wahr. Da Shai im Moment zu nichts anderem fähig war, als negativ zu denken, war Saishiro bereits tot. Für sie zumindest. Es gab keine andere Möglichkeit. Wieso sollte sie hoffen? Das Schicksal hatte sie zu oft verletzt, also würde es bestimmt nicht nachgeben und ihr einen Moment schenken, der sie wieder halbwegs ins Leben zurückholt... oder? "Tzk." Angespannt zog sie ihre Beine an sich heran, umschlang diese mit ihren Armen und starrte wieder an die kahle Zimmerwand, die früher mit so vielen Bilder von Familie und Freunde geschmückt war. Nachdem Shai zurück ins Heim gekommen ist, hat sich das Mädchen gleich daran gemacht, die Erinnerungen an ihren Wänden abzureißen und sie für immer zu entsorgen. Hätte sie jeden Tag die Bilder von Yuto & Co. vor ihren Augen, konnte man allmählich beobachten, wie sie Stück für Stück zugrunde ging... ~

"... wir könnten ja mal die Futons testen..."

Ein erneuter Flashback, der sich direkt in die Gedanken des Mädchens bohrte und sie kurz zum Lachen brachte. Es war kein freudiges Lachen. Eher ein Lachen der Trauer... ein grausam trauriges Lachen. Es war überhaupt nicht schon anzuhören, doch konnte Shai einfach nicht anders auf diesen Flashback reagieren. Das Mädchen hasste Flashbacks, denn sie kamen immer, wenn sie diese am wenigsten gebrauchen konnte. "Wir haben die Futons getestet. Zwar auf eine ganz andere Weise, aber wir haben es getan." Wieso redete sie? Vielleicht, um von der Trauer wegzukommen und so zu tun, als befände er sich bei ihr? Möglich, aber nicht bewiesen. Selbstgespräche waren nichts tolles, zumindest nicht für Shai, doch um sich abzulenken, verfiel sie oftmals in solche Konversationen, die eigentlich rein gar nichts bewirkten.

"Lass mich nicht alleine...."

"VERDAMMT!", brüllte das Mädchen gegen die Zimmerwand, denn der nächste Flashback folgte bereits. 'Lass mich nicht alleine..' - es kam von ihr und Shai wusste genau, in welchem Zusammenhang sie diesen Satz damals benutzt hatte. Shiro hatte ihn nicht gehört. Genau dieser Fakt war die Ursache, dass Shai sich Vorwürfe machte. Wieso? Ganz einfach: Hätte sie ihm das bei vollem Bewusstsein gesagt, wäre vielleicht all dies nicht... sie musste aufhören. Sie musste komplett aufhören, darüber nachzudenken, was sie hätte falsch gemacht haben könnte! Shai hatte keine Schuld. Alles, was sie sagte und was sie tat, war so gewesen, wie es hätte sein müssen - nicht anders! "SHAI!", schon wieder diese nervige Stimme aus den Gängen. Doch diesmal blieb es nicht nur bei dem Rufen, Ichinose-san kam direkt ins Zimmer reingeplatzt, bäumte sich vor Shai auf und blickte sie skeptisch von oben herab an. Das Mädchen saß da wie ein Häufchen Elend, den emotionslosen Blick starr auf das kaputte Kettchen gerichtet. "Das Kettchen deiner Mutter. Es ist kaputt. Wie ist das passiert?" Ichinose, die das Kettchen aufheben wollte und sich bereits mit dem Rücken zu Shai gewandt hatte, wurde von eben jener aufgehalten. Grob packte Shai die Frau am Handgelenk und öffnete den Mund: "Lassen Sie es liegen und verschwinden Sie aus meinem Zimmer..." Eigentlich hätte Ichinose nun gelacht, doch der Blick, den Shai der Frau schenkte, war alles andere als zum Lachen. "..." Sie konnte nichts dazu sagen, nur Shai geschockt anschauen und währenddessen aus dem Zimmer zu verschwinden. Kein Zweifel: Das Mädchen brauchte Ruhe. Viel Ruhe. Jemand wie Ichinose-san war jetzt überhaupt nicht zu gebrauchen und langsam verstand die Frau das auch. Shai war ihr dankbar, denn das Mädchen wollte nicht noch mehr Aggressionen an ihr auslassen - selbst die Aktion von vorhin tat dem blonden Mädchen sehr Leid. Trotzdem musste sie nun weg! Irgendwohin, wo sie für sich selbst sein konnte, sich von alles abschirmen und die Gedanken ordnen... - das Resultat ihrer neuen Gedankengänge, war, dass sie sich nun auf dem Weg zum Friedhof machen würde, auf dem ihr Bruder Hiyashi lag. Wie spät war es überhaupt? Ein Blick auf den tickenden Wecker verriet dem Mädchen, dass es bereits halb 9 war. Abends natürlich, denn sonst hätte Ichinose sie wohl kaum tausend Mal fürs Abendessen rufen müssen. Egal. Dem Mädchen war klar, dass es eventuell gefährlich sein würde, um diese Uhrzeit draußen herumzuspazieren, doch einen besseren Zeitpunkt als jetzt konnte sie für den Friedhofsbesuch nicht finden. Ohne langes Herumgetrödel, schnappte sich Shai einige Räucherstäbchen, schlüpfte in ihre Schuhe und zog sich ihren schwarzen Pullover an, um in der Abendkälte nicht unnötig zu frieren. Um niemandem auf den Gängen zu begegnen, entschied sich das Mädchen, den schnelleren Weg aus dem Fenster zu nehmen. Sie wollte von keinem gesehen werden und heimlich gehen, sodass niemand wusste, wo sie sich befand und keiner auf die dumme Idee kam, ihr hinterherzulaufen. Shai kannte Ichinose. Diese Frau dachte bei allem, was Shai machte, immer etwas negatives. ~ Darauf konnte das Mädchen eigentlich nur Seufzen, denn die Frau hatte einfach keine Ahnung, was in ihr vorging. Sollten sie Shai doch einfach machen lassen, es passierte sowieso nichts schlimmes...

Wie dem auch sei. Anhand eines gekonnten Sprunges, befand sich Shai auch schon auf der leergefegten Straße vor dem Waisenhaus und schlenderte ohne jegliche Eile ins Zentrum hinein. Es befanden sich nur vereinzelt Leute in den kleinen Bars oder Restaurants, um etwas trinken zu gehen oder ihr vergessenes Abendmahl dort nachzuholen. Shai störte das nicht, hauptsache, sie würden sie in Ruhe lassen. "Mhm." Die flackernden Lichter der Straßenlaternen nervten das Mädchen, da sie nicht anders konnte, als unwillkürlich hineinzuschauen. Allzu lange wird der Abendspaziergang in den Straßen ohnehin nicht mehr dauern, denn das Westtor Konoha's war schon in greifbarer Nähe. Obwohl sie den Friedhof noch nicht erreicht hatte, konnte sie im Schein des Mondes bereits vereinzelte Grabsteine erkennen - auch das ihres geliebten Bruders Hiyashi. Es sah mickrig aus, wenn nicht sogar peinlich. Anstatt Blumen befand sich nur Unkraut auf der frischen Erde und einige benutzte Räucherstäbchen, die Shai angezündet hatte, um für Hiyashi zu beten. Während sie so das Grab betrachtete, kam ihr in den Sinn, dass es bestimmt nicht verkehrt war, einige Blumen aus dem Blumenladen für ihn zu kaufen und diese aufs Grab zu legen. Shai konnte aber auch einges pflanzen, denn ihrer Meinung nach, hatte Hiyashi eindeutig mehr verdient, als Unkraut auf dem Grab. Ohne etwas von sich zu geben, kniete sich das Mädchen vor die frische Erde, strich einmal sanft über den eingravierten Namen ihres Bruders und schenkte ihm ein trauriges Lächeln. "Hey...," begann sie sanft, obwohl er sie nicht hören konnte. Was sollte Shai großartig sagen? Eigentlich war es ja unüblich, dass Leute hier auf einem Friedhof plötzlich anfingen, zu den Toten zu sprechen... aus dem Grund schwieg das Mädchen auch schnell wieder. Trotzdem ertappte sich das Mädchen bei etwas, was sie noch nie zuvor gemacht hatte: Während sie vor Hiyashi's Grab kniete, erhob sie sich und fing an, die anderen Grabsteine zu betrachten und deren Namen leise zu lesen. Es dauerte eine Weile, bis sie mit allen Grabsteinen durch war. Doch was wollte sie damit bezwecken? "Er ist nicht hier," flüsterte das Mädchen in die Dunkelheit und ein kleiner weißer Schimmer bildete sich in der Luft. Es war kalt, ergo wunderte sie sich nicht, wieso man ihren Atem sehen konnte. "Gott sei Dank." Irgendwie löste sich gerade ein Stein von ihrem Herzen, denn ein Grab mit der Aufschrift 'Sakkaku Saishiro' existierte nicht. "Gott sei nicht Dank," fiel es ihr plötzlich ein. Shiro - auch wenn er tot war - würde niemals auf diesem mickrigen Friedhof liegen, dafür war seine Familie zu wohlhabend. Wahrscheinlich hatte sein Clan sogar einen eigenen Friedhof... ~ Wieder senkte sich Shai's Kopf, ehe sie zurück zu Hiyashi's Grab ging und dort ein kleines Räucherstäbchen anzündete, welches sofort anfing, ruhig vor sich hin zu glimmen. Es roch nach Orange. Natürlich, denn auf dem Päckchen stand ja auch 'Orange' drauf. Das Mädchen konnte selbst nicht glauben, dass sie anstatt den richtigen Räucherstäbchen, welche gekauft hatte, die nach Orange dufteten! Wie peinlich. Doch ausmachen wollte sie das Stäbchen nicht, denn das Glimmen beruhigte sie irgendwie. Die Situation gerade war einfach nur bedrückend, doch konnte Shai abschalten, den Stress vergessen und für ein paar Momente für sich sein... nur für sich....
 
S

Sakkaku Saishiro

Guest
[Sakkaku Clanviertel; Haus der "Königlichen Familie"]

"Komm schon Shiro, das ist jetzt wirklich kindisch was du da veranstaltest und das weißt du selber ganz genau!"

Mehr als ein wütendes Schnauben gab Shiro nicht von sich, als er durch die verschlossene Tür aus Eichenholz die Stimme seine Mutter hörte, die schon seit geschlagenen zehn Minuten mit ihm diskutierte und versuchte ihn dazu zu überreden endlich zu seinem üblichen Training mit ihr heraus zu kommen. Dabei hätte sie sich das auch genauso gut sparen können, es hatte schon in den letzten Tagen keine Wirkung gezeigt, von daher gab es für sie keinen Grund anzunehmen, dass sich irgendetwas an der Haltung ihres Sohnes verändert hatte. Doch kannte Shiro seine mutter gut genug um zu wissen, dass sie nicht locker lassen würde und tatsächlich dauerte es nur wenige Sekunden, bis sie damit weitermachte auf ihn einzureden. "Weißt du, wenn du das Training ohnehin nicht mehr antreten willst, dann wäre es wohl das klügste dich ganz aus meinem Zeitplan zu streichen, es gibt mehr als genug Shinobi im Clan die sich darum reißen würden von mir trainiert zu werden und es gibt mit Sicherheit auch ein paar, denen ich Kniffs beibringen würde, mit denen sie dich überflügeln könnten... vor allem dieser Uyeda scheint ein ungeheures Talent zu haben..." Jetzt wurde es Shiro einfach zu viel! Ihm gleich damit zu drohen das Privattraining, dass nur eine einzige Person im Sakkaku Clan vom Clanoberhaupt erfahren darf, zu streichen, half auch nicht besonders viel seine Motivation wieder zu finden. "Weißt du, wenn ich doch ohnehin auf jeder einzelnen meiner Missionen überwacht werde, dann ist es vollkommen egal, ob ich irgendetwas als Shinobi leisten kann oder nicht, denn sobald es ernst wir kann sich ja ein anderer für mich die Finger schmutzig machen, nicht wahr?", rief er seiner Mutter giftig entgegen, woraufhin eine Zeit lang ein betretendes Schweigen eintrat. "Shiro, es tut mir Leid... ich weiß, dass ich dich hätte darüber informieren sollen... aber sieh´s doch mal von der positiven Seite. Hätte ich diese Maßnahmen nicht ergriffen, dann wärst du heute vielleicht nicht in deinem Zimmer, sondern draußen auf dem Friedhof unseres Clans. Ich denke wir wissen beide, was die lieber ist." Einen Augenblick passierte gar nichts. Man hätte meinen können, dass Shiro nicht antworten wollte, entweder weil ihm die Wahrheit in den Worten seiner Mutter klar wurden, oder weil er sich nicht auf ein weiteres Wortgefecht mir ihr einlassen wollte. Allerdings geschah dann etwas... leicht... Unvorhersehbares.

Mit einem lauten Knall trat Shiro die von innen noch immer verschlossene Tür seines Zimmer auf, sodass es eigentlich ein Wunder war, dass sie nicht komplett aus den Angeln flog und seine Mutter am Kopf traf. Stattdessen schwang sie einfach auf und offenbarte nun den Blick auf Shiro, jedoch nur für eine Sekunde, denn im nächsten Moment stürmte er mit einem Sprung voran, der seine Mutter, die etwas entfernt von der Tür gestanden war, an die Wand trieb, an der er sie mit seinem Unterarm regelrecht festnagelte. Wut und Verzweiflung spiegelten sich in seinem Blick wieder und unwillkürlich hatte sich sein Kekkei Genkai aktiviert, was es so oft bei ihm tat, wenn er von heftigen Emotionen aufgewühlt war, allen voran bei Wutausbrüchen. Obwohl er nur wenige Zentimeter von ihrem Gesicht entfernt war, schrie ihr der Junge fast so laut er konnte seine nächsten Worte entgegen. "Wer will schon weiterleben wenn er innerlich tot ist? Ob ich in einem Grab liege oder innerlich verrotte kommt doch auf´s selbe raus!" Einen Moment lang schien das Clanoberhaupt tatsächlich überrascht zu sein und für den genauen Beobachter hätte sich vielleicht auch eine Spur von Angst in ihrem Gesicht wiederfinden lassen, doch verschwand dieser Ausdruck in der nächsten Sekunde wieder und sie schleuderte, nahezu mühelos, ihren Sohn von sich weg, sodass Shiro unsanft gegen die gegenüberliegende Wand prallte und langsam an ihr hinabglitt. "Wage es noch einmal mich in diesem Ton anzugehen und du wirst nicht länger als Nachfolger um meinen Platz gehandelt, Saishiro...", sprach die Frau kühl und tatsächlich wagte es Shiro dieses mal nicht, ihr wutentbrannt irgendetwas an den Kopf zu werfen. Was allerdings auch dran liegen könnte, dass ihm noch sein gesamter Rücken von dem ungemütlichen Aufprall mit der soliden Holzwand schmerzte. "Ich weiß was passiert ist auf einer Mission und ich weiß auch welche Schmerzen du empfindest und damit meine ich nicht irgendwelche Wunden die du von dem Kampf davongetragen hattest. Aber fang nicht an dein Leben wegzuwerfen, nur weil die Leben anderer zu Grunde gingen." Die Leben anderer! Sie sprach ganz so, als ob seine Teammitglieder nur Marionetten gewesen wären, Puppen die kaputt gegangen waren und die man simpel austauschen könnte... als ob man einen Menschen wie Shai einfach ersetzen könnte...
"Du... du hast doch keine Ahnung...", fing Shiro an, doch schnitt ihm seine Mutter schnell das Wort ab und unterbrach ihn. "Ich soll nicht wissen wie es ist, wenn man Menschen verliert die einem wichtig sind? Ich soll nicht wissen wie es ist wenn man das Gefühl hat, dass jemand einem mit einem Schlag das Herz herausgerissen hat? Ich soll nicht wissen wie es ist einen Verlust erdulden zu müssen und nichts, absolut gar nichts dagegen tun zu können? Du denkst ich weiß nicht wie es ist, wenn man jede Nachricht aus den anderen Ninjadörfern verfolgt um vielleicht auch nur eine winzige Information aufzuschnappen die die gerade zu lächerliche Hoffnung wieder aufleben lassen könnte, dass doch nicht jeder verloren ist, den man verloren geglaubt hatte? Du denkst ich hab keine Ahnung wie es ist in den Wäldern umherzustreifen um vielleicht einen so lange vermisten Freund wiederzufinden der versucht sich aus einer Gefangenschaft zurück ins Dorf zu schleppen? Du denkst ich weiß nicht wie es ist auf Friedhöfen umherzuwandern und mir jedes einzelne Grab anzuschauen, nur damit in mir die sinnlose Hoffnung weiterleben kann, dass die von mir geliebten Menschen nicht tot sein können, solange ihre Namen nicht auf einen Stein eingraviert sind? Glaub mir, ich weiß wie das ist, besser als du es dir jemals vorstellen könntest.... das einzige wovon ich keine Ahnung habe ist, wie man sich gehen lassen kann, wie man sich selbst aufgibt und wie man sich aus Angst in seinem Zimmer verkriecht, weil man nicht nach draußen will um die wahrheit zu erfahren, die einem den endgültigen Gnadenstoß geben könnte, um nicht die Wahrheit zu erfahren. Ich weiß nicht wie es ist in der Ungewissheit zu leben und nichts zu versuchen um etwas dagegen zu unternehmen... aber anscheinend hast du davon ja jede Menge Ahnung..."

Shiro wusste nicht, was er sagen sollte. Er hatte das Gefühl, als ob eine faust ihn direkt ins Gesicht getroffen hatte, denn seine Mutter hatte ihm jeden seiner Gedanken vor Augen geführt und ganz besonderes jede seiner Schwäche offen dargelegt. Seine Augen wurden wässrig, doch wehrte er sich gegen die Tränen, so tief wollte er hier und jetzt nicht sinken. Es verging einige Zeit, bis einer der beiden etwas unternahm, doch fand Akiko offenbar es sei nun an der zeit zu gehen und so wand sich das Clanoberhaupt von Shiro ab und hatte schon fast das ende des Ganges erreicht, ehe die Stimme ihres Sohnes sie noch einmal inne halten ließ.
"... du... hast keine Ahnung... wen ich dort verloren habe..."
"Du hast recht, das weiß ich nicht, doch offenbar möchtest du auch nicht darüber reden, also sieh zu, dass du alleine mit deinen Gedanken und Gefühlen ins Reine kommst, das ist nicht meine Aufgabe", meinte Akiko trocken und verschwand nun aus dem Gang und lies ihren Sohn alleine zurück. Wenn er nur wüsste, wir sehr es mich schmerzt ihn so zu sehen..., dachte Akiko traurig und hoffte, dass sie nicht zu hart zu ihrem Sohn war. Doch hatte sie ihm letztendlich nichts als die wahrheit gesagt und solange er nicht von alleine über alle sprechen wollte, was vorgefallen war, konnte sie ihn nicht dazu zwingen und es war das beste Streitgesprächen wie diesen so lange erst einmal aus dem Weg zu gehen. Sie hoffte nur inständig, dass Shiro an diesem heftigen Schlag nicht kaputt gehen würde... so früh in seinem Leben als Shinobi bereits einen so derben Rückschlag erleben zu müssen, das war etwas, was selbst ihr nicht widerfahren war und sie konnte sich lediglich vorstellen, wie er sich mit seinen gerade mal 14 Jahren fühlte. Doch hatte ihr dieser Wutausbruch endlich mal einen klaren Einblick in das Gefühlsleben ihres in letzter Zeit so abweisenden Sohnes gegeben... doch das, was sie dort vorgefunden hatte, beunruhigte sie nur noch umso mehr.

[Friedhof]


Sie hat Recht... sie hat mit allem Recht was sie gesagt hat... verdammt!
Shiro hatte sich nach dem Streit mit seiner Mutter zurückgezogen, allerdings nicht in sein zimmer, so wie er es in den letzten Wochen immer getan hatte, sondern hielt er es für das klügste sich mit einem Spaziergang einen klaren Kopf zu verschaffen. Mal abgesehen davon, dass sein zimmer ohnehin nicht mehr sehr ansehnlich war. An seinem ersten Abend nach der Rückkehr von der Mission - oder besser gesagt nachdem er von einem Shinobi zurückgebracht wurde - hatte er aus Wut und Verzweiflung das meiste was ihm lieb und teuer war demoliert, genauso wie diese verfluchte Mission ihm alles genommen hatte, was ihm etwas bedeutete. Er hatte sich von allen anderen zurückgezogen und als Vorwand verwendet, dass er nichts von ihnen wissen wollte, nach diesem Verrat an ihn. tatsächlich wusste er nicht mehr wie weit er seiner Mutter trauen konnte, nachdem sie ihn offenbart hatte, dass sie einen Jounin aus dem Sakkaku Clan beauftragt hatte, ihn auf seiner Mission zu überwachen, oder besser gesagt ihn zu beschützen sobald es brenzlig wurde. Zwar hatte ihm diese Tatsache das Leben gerettet, doch fühlte sich Shiro ziemlich gedemütigt. Traute man ihm so wenig zu? War er auf einmal in den Augen seiner Mutter ein schlechterer Shinobi als die anderen Genin im Dorf und brauchte er deswegen eine Sonderbehandlung? Fürsorge war mit Sicherheit nicht ihr Hintergedanke, denn bisher hatte ihm seine Mutter immer das Gefühl gegeben, dass sie wusste, was man ihm zutrauen konnte und dass sie es nicht nötig hatte ihn zu kontrollieren oder sich um ihn sorgen zu müssen. Sei´s drum... er wollte sich keine unnötigen Gedanken mehr machen, denn im Moment war etwas vollkommen anderes viel wichtiger für ihn. Das "Gespräch" mit seiner Mutter hatte Shiro klar gemacht, dass es sinnlos war sich in seinem Zimmer zu verkriechen und darauf zu hoffen, dass er plötzlich seinen Seelenfrieden finden würde, denn das würde er nie schaffen, solange er die Ungewissheit mit sich herumtrug. Doch war die Ungewissheit einfacher zu ertragen als die mögliche Wahrheit, die sich ihm offenbaren könnte. Aber er musste der Sache nachgehen... er musste seinen Schatten überspringen... das war er ihr schuldig. Wie würde sie sich fühlen, wenn sie gewusst hätte, dass er sie einfach ignorierte? Nein, das konnte er nicht zulassen, er musste wissen, was mit Shai passiert ist. Zwar fühlte er sich ab und an schuldig, dass er sich kaum für das Schicksal anderen Leute aus seinem Team interessierte, doch konnte er sich nichts vormachen, die einzige Person die ihm unentwegt vor Augen trat, wenn er an die Tragödie dachte, was Shai. Es lag wohl einfach daran, dass sie die einzige war, zu der er ein Verhältnis aufgebaut hatte, wohingegen er die anderen Mitglieder an der Mission kaum kannte und machte nicht einmal wirklich mochte. Mit Ausnahme von Sensei Mizu, doch von ihm wusste er, dass er mehr oder weniger wohlbehalten nach Konoha zurückgekehrt war. Zumindest hatte der Jounin, der Mizu im Kampf gegen die Nukenins geholfen hatte berichtet, dass dessen Verletzungen nicht lebensgefährlich sein. Shiro spürte einen Stich, wenn er daran dachte, dass er sich nicht einmal die Mühe gemacht hatte seinen ehemaligen Sensei im Krankenhaus zu besuchen... doch er hatte die kraft dazu einfach nicht aufbringen können.

Das hier ist der Letzte..., dachte sich Shiro und blickte auf das weite Feld der sich vor ihm erhebenden Steine. Im Vergleich zu den anderen Friedhöfen die er heute besucht hatte, schien hier alles ziemlich ungeordnet zu sein, ganz so als ob sich niemand wirklich darum kümmern würde wer hier lag und ob es den Hinterbliebenen vielleicht etwas ausmachte die Gräber ihrer Familie so ertragen zu müssen. Shiro erkannte, dass sich an Manchen der Gräber sogar schon das Unkraut hocharbeitete, ganz so als ob das Grün verbergen wollte wer die Leute waren, die hier lagen... so als ob es ohnehin niemanden gab, der sich dafür interessierte. Aber es gab jemanden den es interessierte, und zwar Shiro! Auch wenn er wusste, dass niemand den er kannte unter einem Grab liegen konnte, das bereits von Unkraut überfallen wurde, so machte er sich trotzdem die Mühe das hässliche Gewächs von jeder Steinplatte abzuziehen, die ihm unter die Augen trat, was zugegeben nicht gerade wenige waren. Mit jedem Grab, das Shiro abging, stieg sein Herzschlag, doch wusste er nun nicht, ob er glücklich sein sollte oder nicht. Wenn er Shais Name hier nicht fand, was bewies das? Es musste trotzdem nicht heißen, dass sie lebte. Eigentlich bestärkte er durch diese Aktion einzig und alleine sine Ungewissheit. Und wenn er ihren Namen fand? Dann wusste er zwar, dass er sie nie im Leben wieder sehen würde, doch hatte er sich bisher keine Gedanken gemacht was das für ihn bedeuten würde und was er dann mit sich anstellen würde. Und dabei war ich es, der sie letztendlich verlassen hat..., dachte sich der Junge deprimiert, während er weiter von einem Grab zum anderen trat. Es stimmte, er hatte Shai damals mit ihrem Fieber alleine gelassen, als er gehört hatte, wie draußen vor dem Anwesen das sie bewachen sollten scheinbar ein Kampf entfacht war. Eigentlich hatte er das nur getan, weil er dachte, so könnte er Shai am besten beschützen... wäre er Idiot doch einfach bei ihr geblieben! Niemand hätte ihm einen Vorwurf machen können und er wüsste, was mit ihr geschehen war. Er seufzte... es war sinnlos sich jetzt solche Gedanken zu machen. das machte alles nur noch schlimmer für ihn, als es ohnehin schon war.

Shiro hob den Kopf und konnte nun, nicht weit entfernt von ihm eine Gestalt erkennen, die vor einem der Gräber kniete. Es hatte ihn ohnehin schon ziemlich gewundert, dass außer ihm keine Menschenseele auf dem Friedhof zu finden war. Immerhin lagen hier so viele Menschen und es musste doch jemanden geben der um sie trauerte... oder nicht? Unwillkürlich erschrak ihn der Gedanke, dass er selber vielleicht irgendwann mal so enden würde... dass sich keiner mehr für ihn interessieren würde, wenn er unter der Erde lag und dass ihn niemals jemand besuchen kommen würde. Von seinem Clan zumindest konnte er sich nicht erhoffen, dass jemand wirklich um ihm trauern würde. Shiro verscheuchte diesen Gedanken eben so schnell wie er gekommen war und musterte stumm die Person, die stumm vor dem ihm noch unbekannten Grab kniete. Er wollte warten ehe er mit seiner Suche weitermachte, denn er hielt es für ziemlich taktlos, wenn er der Person einfach über die Schulter spähte um zu sehen, ob dort ein Name stand, der ihm etwas sagte. Stillschweigend betrachtete Shiro die in schwarz gekleidete Person und konnte anhand der langen blonde Haare erkennen, dass es sich um ein Mädchen handeln musste. Sein Magen zog sich etwas zusammen als ihm mit einem mal Shai vor die Augen trat, die ebenfalls lange blonde Haare hatte. Wieder schüttelte er den Kopf. Würde er ab jetzt jedes mal ein ungutes Gefühl bekommen wenn er ein Mädchen mit langen blonden Haaren traf? Er hoffte mal nicht...
Sein Blick lag noch immer auf der Gestalt vor dem Grab und allmählich wurde er unruhig, denn je länger er wartete, desto mehr breitete sich die Idee in ihm aus einfach von hier zu verschwinden, doch das durfte er nicht, nicht jetzt, wo er es sowieso schon fast hinter sich hatte. Je länger er nun zögerte, desto schwieriger würde es für ihn werden die Sache zu ende zu bringen, vor allem da es mittlerweile auch schon ziemlich dunkel wurde und es selbst ihm schwer fiel in der Dunkelheit die Namen auf den Gräbern zu lesen. Von daher durfte er nun keine Rücksicht mehr auf die Trauernde nehmen... er würde einfach versuchen ihr unauffällig über die Schulter zu schauen um den Namen zu lesen.

Seiner Ausbildung als Shinobi war es zu verdanken, dass er es schaffte sich fast lautlos hinter das Mädchen zu schleichen, welches vor dem Grabstein kauerte. Shiro konnte deutlich den Geruch von orangen wahrnehmen und fragte sich, warum das Mädchen sich keine Räucherstäbchen gekauft hatte, die... nun ja, die eben einfach üblich waren auf einem Friedhof. Vielleicht mochte der verstorbene ja Orangen ganz besonders? Wie dem auch sei...
Shiro beugte sich leicht nach vorne und verengte die Augen zu schlitzen, da der Name auf dem Grabstein eher schlecht als recht eingraviert wurde. Doch auch nachdem der Junge den Namen einmal gelesen hatte, war er sich sicher, dass er die Buchstaben falsch gedeutet haben musste. Das konnte nicht sein! Das war... schlichtweg unmöglich. Langsam beugte sich Shiro wieder zurück und sein Herz hatte wie wild zu schlagen begonnen und sein Blick fiel augenblicklich auf die Person vor seinen Füßen hinab. Konnte es wirklich sein...? Shiro wollte ihren Namen aussprechen, doch schaffte er es bei seinem ersten versuch nicht einmal überhaupt einen Ton aus seinem Mund zu bekommen, der sich momentan sehr trocken anfühlte. Noch einmal sammelte er sich und seine Gedanken und sprach dann leise, aber so, dass das Mädchen unten ihn unzweifelhaft hatte hören müssen.
"Shai... bist du es?"
 
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Iwamoto Shai

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Der Geruch von Orange verflog langsam, denn das Räucherstäbchen beendete sein für Shai beruhigendes Glimmen und ließ ihre Umgebung wieder in vollste Dunkelheit verfallen. Von den Bäumen, die herumstanden, waren nur noch die Konturen zu sehen - auch die Grabsteine sahen nun gruseliger aus, als sie eigentlich waren. Um sich die 'neue Umgebung' anzusehen, hob Shai unauffällig ihren Kopf ein wenig und ließ ihren Blick über die Gräber gleiten. Obwohl es ziemlich dunkel war, konnte das Mädchen doch erkennen, dass einige Gräber irgendwie anders aussahen als vorhin... zumindest war das ganze Unkraut weg, was sich auf die Steine gelegt hat und die Eingravierungen der Namen verdeckt hatte. Aber vielleicht war das auch vorhin schon so, denn Shai befand sich nicht gerade in einer Situation, in der sie hätte sich alles merken können, was um sie herum passierte. Ob das Unkraut nun da war oder nicht - es war doch völlig egal. Nicht mehr darüber nachdenkend, lenkte sie ihre blauen, müden Augen wieder auf den Grabstein ihres Bruders, doch konnte sie dank der fehlenden Lichtquelle den Namen nicht mehr erkennen. Ohne lange nachzudenken, griff sie nach den Räucherstäbchen, schüttelte kurz an der Packung, holte ein neues Stäbchen heraus und zündete es an... erneut hüllte das Glimmen den Friedhof - und auch das Mädchen - in eine orange-rote Farbe, sodass man wieder einigermaßen etwas erkennen konnte. Wie spät war es? Shai wusste es nicht, schließlich existierte in der Nähe keine Uhr und auch sie selbst trug nie etwas, woran man die Zeit ablesen konnte. Eigentlich gut so, denn im Moment wollte sie sowieso nicht zurück ins Heim, denn zu 100 % würde Ichinose-san wieder kommen, dem Mädchen ins Gewissen reden und ihr eventuell sogar verbieten, erneut rauszugehen. Man konnte ja nie wissen, was Shai so anstellte - dies wäre ein passendes Zitat der alten Frau gewesen, doch wollte das Mädchen dies gar nicht mehr hören! Am liebsten wäre sie weggelaufen. Ganz weit weg von allem, was ihr Schmerzen bereitete. Doch was sollte das ändern? Würde sie sich dann besser fühlen? Wohl nicht. Sie würde sich nur noch schlechter fühlen, denn nach einer Zeit erloschen auch die Gedanken an die Personen, die ihr wichtig waren - das konnte sie sich selbst nicht antun. Ein leiser Seufzer entwich ihren Lippen und obwohl gerade ein ziemlich kalter Wind über den Friedhof heulte, spürte das Mädchen keinerlei Kälte. Trotz eines dünnen Pullovers, empfand sie nichts. Nicht einmal den Jungen bemerkte sie, der schon seit einer geraumen Zeit über den Friedhof schlenderte und vorhin das ganze Unkraut von den Grabsteinen entfernte hatte. Man merkte deutlich, dass sich das Mädchen nur noch schlecht auf ihre Umgebung konzentrierte und mit den Gedanken dauernd woanders war. Sie fühlte sich wie eine leere Hülle, die nur noch auf der Welt existierte, um den Schmerz zu fühlen, den ihr das Schicksal so sozialerweise gegeben hatte.

"Shai... bist du es?"

Urplötzlich riss dieser Satz das Mädchen aus ihren Gedankengängen, was man optisch an ihrem kühlen Gesichtsausdruck im Moment aber nicht erkennen konnte. Man hatte ihren Namen gesagt, in einem sehr leisen, aber dennoch verständlichen Ton. Diese Stimme... sie... war so vertraut, als hätte Shai sie schon einmal irgendwo gehört. Doch wer kannte sie noch? Nur Iwari, doch die Stimme gehörte nicht zu ihm. Sie gehörte auch nicht zu Yuto, nicht zu Toki und auch nicht zu ihrem verstorbenen Bruder Hiyashi. Zu wem dann? Er musste wirklich vertraut sein, denn sonst würde er ihren Namen nicht kennen bzw. dem Mädchen ein Gefühl geben, dass gerade etwas in ihr Leben getreten war, was ihre Schmerzen lindern konnte. Es dauerte noch eine Weile, bis Shai ihre Gedanken beendete und den Mund leicht öffnete, um auf die Frage etwas zu antworten, doch es kam nichts dabei heraus als ein verzweifelter Seufzer, der sogleich - dank der Kälte - einen weißen Schimmer in der Luft hinterließ. Als sie den Kopf etwas zur Seite neigte, konnte sie einen Schatten erkennen, der sich dank des Räucherstäbchens über ihr und dem Grabstein gebildet hatte. Ein leichtes Lächeln bildete sich auf ihren Lippen, ehe sie sich langsam aus ihrer Hockposition erhob und schließlich in ihrer vollen Größe vor dem Grabstein stand. Ihre Hand hatte sich zu einer Faust geballt, die sie krampfhaft gegen ihre Hüfte drückte, um nicht völlig den Verstand zu verlieren. Nach dem langen Hin und Her ihrer Gedanken, konnte sie diese Stimme einem Menschen zuordnen, von dem sie dachte, dass sie ihn für immer verloren hätte... War es Einbildung? Eine Illusion ihrer Einsamkeit? Oder pure Realität? Sie konnte sich nur ein Urteil bilden, wenn sie sich nun umdrehte, doch irgendetwas in ihr blockte diesen Wunsch. Es war die Angst. Angst, dass er nicht da war... verschwand und sie sich das alles nur eingebildet hatte. Die Location stimme ja, es war eigentlich passend für einen Emotionsstau und selbst gemachte Illusionen, doch irgendwie bestand auch die Hoffnung, dass es wahr sein könnte - wenn nur für ein paar Prozent. "..." Wie in Zeitlupe, wischte sie sich eine Haarsträhne - die sich dank des Windes verirrt hatte - aus ihrem Gesicht und behielt das Lächeln, welches sie vorhin aufgesetzt hatte. Es sah etwas gequält aus, doch anders konnte sie gerade ihre Emotionen nicht ausdrücken. Angst gemischt mit Freude - ein elendes und schlimmes Gefühl, zumindest für Shai, die gerade soviel Hoffnung in sich aufgebaut hatte, um das, was gerade passiert ist, Realität werden zu lassen. Sie musste sich umdrehen, nichts anderes konnte sie tun, um wieder ein klares Gefühl zu bekommen. Shai atmete noch einmal tief durch, entspannte ihre Glieder, begann nun, sich langsam umzudrehen, den Kopf gesenkt zu halten und so schließlich vor dem Jungen stehenzubleiben. Auch ihr gesenkter Kopf erhob sich nun, bis sie mit ihren verzweifelten blauen Augen in die des Jungen blickte. Shai konnte sich nur ein Schlucken unterdrücken, denn das, was sie vor sich sah, war einfach - um es philosophisch auszudrücken - zu schön um wahr zu sein, aber gleichzeitig auch beängstigend. Es konnte doch nicht wirklich sein, dass ER gerade vor ihr steht! Oder doch? Vielleicht war es aber wirklich nur eine Illusion. Nein. Es war zu echt. Die bernsteinfarbenen Augen, die auf das Mädchen herabblickten, die silbernen Haare, die dem Jungen frech über den Augen lagen und die Statur, die Shai wohl am besten jemandem zuordnen konnte, als alle anderen - schließlich wusste sie noch genau, dass die beiden einen schönen Augenblick vor ihrer gewaltsamen Trennung hatten. "Shiro...," flüsterte sie in die Stille hinein. Hinter ihr erlosch das Glimmen des Räucherstäbchens erneut und urplötzlich fühlte das Mädchen Panik in sich hochkommen, denn sie konnte den Jungen vor ihr dank der Dunkelheit nicht mehr erkennen. Eine Illusion. Trotzdem bestand noch ein Fünkchen Hoffnung in der ganzen Sache, weswegen das Mädchen ihre zitternde Hand langsam nach vorne ausstreckte, um zu fühlen, ob es wirklich eine Illusion war. Innerlich betete sie, dass sie etwas fand, woran sie sich halten konnte und nicht ins Leere greifen musste, um danach wieder in pure Verzweiflung zu verfallen. Und siehe da: anscheinend hatte es das Schicksal doch nicht für nötig gehalten, das Mädchen lange leiden zu lassen, denn ihre Hand griff nach ein paar Sekunden der Stille nach Shiro's Hand, um diese vollends mit ihrer zu umschließen. Sie war so warm, ganz im Gegensatz zu ihrer - schließlich befand sie sich schon seit einer ganzen Weile auf dem Friedhof, ohne jegliche Wärmequelle, die sie hätte wärmen können. Um das Gefühl der Geborgenheit - welches gerade so schön den zitternden Körper des Mädchens erfüllte - hob sie seine Hand an und legte sie auf ihrer Wange ab, die nach der Berührung sofort anfing, sich rötlich zu färben und warm zu werden. Für den nachfolgenden Emotionsschub konnte sie nichts tun, denn noch länger hätte sie ihre Freude nicht für sich behalten können, weswegen das Mädchen stumm einige Tränen vergoss, die über die Hand des Jungen liefen und schlussendlich auf den kahlen Friedhofsboden aufkamen.

"Ich dachte... ich hätte dich für immer verloren..." ~
 
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Sakkaku Saishiro

Guest
Das Mädchen rührte sich nicht. Zumindest hatte sie bisher noch nicht auf seine Frage reagiert und Shiros Körper schien immer mehr unter Spannung zu stehen. Alles in ihm sprach dagegen darauf zu hoffen, dass es sich hier um ein Wunder handelte und dass sich seine Vermutung bestätigte. Er wagte es nicht zu hoffen, er wagte es nicht die Freude in sich aufkommen zu lassen, die ihn eigentlich hätte überwältigen müssen. Er hatte zu viel Angst vor der Enttäuschung die er erleiden konnte, wenn sich herausstellte, dass er falsch gelegen hatte. Er war, wie er sich selber immer nannte, ein sehr vorsichtiger Optimist... sein Vater meinte immer, wenn er noch ein wenig vorsichtiger wäre, dann wäre sogar schon ein Pessimist. Shiro fragte sich, ob er das Mädchen noch einmal ansprechen sollte, vielleicht hatte sie ihn einfach nicht gehört? Doch konnte er nicht, vor Aufregung war seine Kehle wie zugeschnürt und selbst bewegen konnte er sich im Moment nicht wirklich, zumindest war er sich sicher, dass seine Beine ihm nun Arbeit verweigert hätten, wenn er sich dazu entschied einfach von hier fortzugehen. Vielleicht reagierte das Mädchen nur deswegen nicht, weil sie einfach nicht Shai war? das wäre wohl die wahrscheinlichste Antwort und
langsam begann Shiro sich das auch selber einzureden. Wie konnte er nur glauben, dass sie es wirklich war? Wie hoch war die Wahrscheinlichkeit, dass er den Menschen, den er geglaubt hatte für immer verloren zu haben, ausgerechnet hier fand, auf einem Friedhof... noch dazu nicht, wie er es eigentlich eher befürchtet hatte unter der Erde, sondern wohlbehalten, oder zumindest noch am Leben. Nein, das konnte schlichtweg nicht sein... es war dumm von ihm gewesen überhaupt diese Hoffnung noch einmal in ihm aufkeimen zu lassen. Nach für Shiro einer endlos langen Zeitspanne begann das Mädchen sich dann doch langsam zu erheben.

Shiro achtete auf jede einzelne ihrer Bewegungen, auf irgendetwas, was ihm hätte verraten können, ob es sich doch um Shai handelte. Und schon wieder waren sie da, diese unsinnigen Gedanken! Er hatte sich doch eben noch eingeredet, dass sie es unmöglich sein konnte und trotzdem suchte er sofort wieder nach dem nächsten Hoffnungsschimmer. Es war die Vorstellung, dass er vielleicht nur eine Armlänge von Shai entfernt war, die seinen Kopf verrückt spielen ließ, es war dieses vage Gefühl in seiner Magengegend das er nur in ihrer Gegenwart gespürt hatte und es war der Schmerz in seinem Herzen, die ihn trotz jeder Logik die Gewissheit gaben, dass er sich nicht irren konnte... sich nicht irren durfte. Es war die letzte Chance und er klammerte sich mit allem was er hatte an diese Möglichkeit, an diese letzte Hoffnung. Wenn sie sich doch nur endlich umdrehen würde! Innerlich schrie alles in Shiro danach endlich die Antwort zu kennen und er hielt es kaum noch aus. Er musste ihr Gesicht sehen, ihre blauen Augen, ihr Lächeln das ihn immer wieder verzaubert hatte, selbst in dieser kurzen Zeit in der sie sich gekannt hatten und in der sie sich näher gekommen waren. Er wagte es nicht daran zu denken was er tun würde oder wie er sich fühlen würde, wenn das Mädchen vor ihm sich umdrehte und er ein anderes Gesicht zu sehen bekommen würde. Wenn er keine blauen Augen erkennen könnte, die zu ihm zurückblickten. Wenn er einen anderen Mund sehen würde als jenen, den er geküsst hatte... was würde dann mit ihm passieren? Würde er wieder innerlich einen Tod durchleben? es war schon schlimm genug gewesen Shai einmal zu verlieren, doch konnte das Leben so grausam sein sie ihm noch ein zweites Mal aus den Armen zu reißen? Die Antwort darauf war nur wenige Zentimeter entfernt, die Gestalt vor ihm müsste sich lediglich umdrehen und sine Grübeleien hätten ein Ende, ein für allemal. Auch wenn er wusste, dass es nicht unbedingt heißen musste, dass Shai tot war, wenn sie es nicht war die hier vor ihm stand, so war er sich sicher, dass er sich nicht noch einmal von so einem Rückschlag würde erholen können. Mit einem Mal hielt Shiro plötzlich den Atem an, als er sah, wie das Mädchen sich endlich dazu herabließ seine inneren Qualen zu beenden und sich zu ihm umzudrehen.

Sie hielt ihren Kopf am Anfang noch gesenkt, so dass man ihr Gesicht nicht genau erkennen konnte. Doch Shiro brauchte nicht mehr zu sehen. Er wusste es! Er erkannte sie, selbst wenn sie sich ihm noch nicht ganz offenbarte! Und schließlich hob das Mädchen nun auch ihren Kopf und blickte ihm in seine Augen. Shiro verlor sich, genauso wie er es schon das erste Mal getan hatte als er sie gesehen hatte, in ihren blauen Augen. Manchmal hatte er das Gefühl, als ob er nicht in die Augen von jemanden sah, sondern als ob er ein riesiges Meer betrachten würde, wobei es unmöglich war, dass irgendein Meer auf dieser Welt jemals so ein wunderschönes Blau erreichen würde. Shiro blickte auf von ihren Augen, betrachtete den Rest ihres Gesichts. Ihre Nase. Ihren Mund. Alles war da, jedes Details von ihr war dort, wo es sein sollte. Es konnte keine Illusion sein, keine Illusion er Welt hätte jemals so perfekt sein können um Shai so darzustellen wie sie im Moment aussah. Shiro hörte, wie sie seinen Namen aussprach und ihre Stimm durchdrang ihn wie ein Pfeil. Er hatte sich damit abgefunden ihre Stimme nie wieder zu hören, nie wieder in ihr Gesicht zu blicken, sie nie wieder berühren zu können und sie nie wieder zum Lachen bringen zu können. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, dann hatte er sogar Angst gehabt, er könnte sie mit der Zeit sogar vergessen... und mit einem Mal war diese Angst wieder da! Das Licht, das die beiden umhüllt hatte verschwand von einer Sekunde auf die andere und sie wurden von einer drückenden Dunkelheit umgeben. Shiros Herz setzte einige Schläge lang aus. In seinem Kopf hallte nur ein Gedanke wieder, und zwar dass er sie wieder verloren hatte. Geraubt, ohne Warnung und ohne sich von ihr verabschieden zu können und ohne, dass er was dagegen hätte tun können... genauso wie das letzte Mal.

Mitten in seiner Verzweiflung allerdings konnte er spüren, wie jemand nach seiner Hand griff und sie langsam anhob. nach nur wenigen Sekunden lag seine Hand auch schon auf Shais Wange und Shiro spürte Emotionen in sich hochkommen, die er unmöglich irgendeinem ihm bekannten Gefühl hätte zuordnen können. Das einzige was er sagen konnte war, dass er tief in sich ein Glücksgefühl verspürte, weit jenseits von allem was er jemals empfunden hatte. Es war nicht diese Art von Glück die man empfand, wenn man etwas besonderes geschafft hatte, oder wenn man irgendetwas gewonnen hatte. Es war... einfach diese unglaubliche Erleichterung die sich dazu mischte und diese Gewissheit, dass alles gut werden würde. Shiro spürte nach kurzer Zeit schon, wie etwas feuchtes an seiner Hand entlang glitt und ihm wurde bewusst, dass es Shais Tränen sein mussten, die da an seiner Hand entlang kullerten. Er selber verspürte einen riesigen Kloß im Hals und er wusste nicht so recht was er auf ihre Worte hätte antworten können. Er wusste wie sie fühlte! Und er wusste ganz genau, was sie ausdrücken wollte mit ihren Worten, selbst wenn sie schlicht gewählt worden waren. Ihre Tränen sagten mehr als tausend Worte. Shiro öffnete den Mund, schloss ihn jedoch wieder, denn er hatte keine Ahnung, was er ihr sagen sollte? Dass er sie vermisst hatte? Wie elendig unbedeutend würde es sich anhören wenn er so sprach, als ob sie nur auf einer kurzen Reise gewesen sei und er nur auf sie gewartet hätte. Sollte er ihr sagen, dass er wegen ihr geweint hatte? Nein, das konnte ernicht, selbst wenn er wollte... das war schlichtweg nicht seine Art so offen über die dinge zu sprechen die ihn bedrückten. Nichts was er hätte sagen können würde ausdrücken, was er wirklich in diesem Augenblick empfand. In diesem Augenblick wurde ihm zum ersten Mal klar, wie jämmerlich die normale Sprache eigentlich war, wenn man versuchte Gefühle auszudrücken. Es ging einfach nicht! Aber irgendetwas musste er schließlich sagen...

"Ja... ich war auch verloren... bis du mich wiedergefunden hast...", antwortete der Junge und es gelang ihm nicht wirklich das Zittern aus seiner Stimme zu verbannen. Er wollte ihr näher sein! er wollte Shai in die Arme nehmen, wollte sie an sich drücken und sie nie wieder loslassen, damit er sie nicht wieder verlieren konnte. Aber er konnte nicht, er traute sich nicht. Vielleicht weil ihm der Moment noch immer viel zu schön vorkam um wahr zu sein? Auch wenn Shiro klar war, dass die beiden sich hier auf einem Friedhof befanden, einen Platz voller trauer und Leid, und dass die beiden von beißender Dunkelheit umgeben waren, so gab es gerade keinen Platz auf der ganzen Welt an dem er lieber gewesen wäre. zumindest nicht ohne Shai. Noch immer lag Shiros Hand auf Shais Wange und ihm fiel nun auf, dass sie sich ziemlich kalt anfühlte. Offenbar war Shai schon länger hier gewesen um am Grab eines ihrer toten verwandten zu beten. Er musste sie fort bringen von hier. Dieser Ort tat ihr nicht gut, das wusste er. Zumal er das Gefühl nicht loswurde, dass Shai noch nach jemand anderem gesucht haben könnte, nach einem anderen Namen auf den Grabsteinen... nach seinem Namen. "Komm, gehen wir... es ist nicht gut hier zu sein...", meinte Shiro und schaffte es nicht wirklich seine Gedanken zu erklären. Er umfasste ihre Hand, die seine gehalten hatte und führte Shai nun langsam vorbei an den Grabsteinen, weg vom Friedhof und weg von den negativen Erinnerungen. Sie brauchte sicher einen Ort, der ihr das Gefühl von Geborgenheit wiedergab und Shiro hoffte, bei sich zu Hause würde Shai diese Geborgenheit finden.

tbc.: (Shiro + Shai) Sakkaku Clanviertel
 
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