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Klassenraum 18

Masaru

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199 cm
Ihr Sensei atmete laut hörbar aus, sodass alle unweigerlich oder zufällig zu ihm herübersahen. Und was sie sahen, war wirklich eine Seltenheit. Aber eine in der Art eines Vulkanausbruches, wenn man direkt davor steht, oder eines offenes Torsos, wenn es der eigene ist. Also nichts, was man gerne sehen und vor allem nicht erleben wollte. Die ersten Schüler saßen bereits kerzengerade und hielten den Atem an, andere waren vollkommen erstarrt und glotzten einfach nur noch aus großen Augen. Es war wirklich selten, dass so etwas passierte, und in seinem Kopf meinte das andere Ich im Lehrer, dass er doch wieder seine Beherrschung erlangen sollte. Eine Zornesfalte, ein Blick, der vielleicht einen Berg zerschneiden konnte, zusammengepresste Lippen: Sie alle zeigten, wie wütend der Lehrer werden konnte. Ansatzweise. Warum, die Stimme Masarus war von einer Ruhe getragen, wie man sie sonst kurz vor einem Sturm in Kumo oder Iwa kannte, seid ihr hier? Eigentlich handelte es sich doch um eine legitime Frage. Wehe, würde jemand antworten, wer weiß, ob der Lehrer nicht dann auch zu Ninjutsu greift, wenn er schon Genjutsu einsetzt. Sein Blick wanderte zunächst zu Kyouya, der auf seine Frage geantwortet hatte - unzureichend. Einer von euch ist unmotiviert und faul. Wie will so jemand Tag für Tag die Energie aufbringen, seinem Dorf zu dienen, den Menschen zu helfen und seinen Nin-Do gehen? Es gab in der Geschichte nicht einen Ninja, der mit solchen Eigenschaften lange gelebt hatte. Er wusste es, und seine Schüler kannten doch auch nur die Geschichten der großen Ninja? Warum? Weil Geschichte von Gewinnern geschrieben wird. Der entscheidende Sieg ist immer von dem Helden gemacht worden - egal, wie gut sein Feind war, und was er vorher vollbringen konnte. Es gibt keine konkreten Geschichten über Faulenzer, die zu früh sterben, einfach, weil sie keine Ninja waren. Nicht vom Beruf, sondern von der Einstellung. Sein Blick wanderte weiter zu Yasu. Einer von euch ist zu arrogant und selbstverliebt. Sich selbst für etwas Besseres zu halten, selbst, wenn man sehr gut ist, macht einen angreifbar, weil man sich für unbesiegbar hält. Urteilen darf nur, wer über sich selbst zu richten weiß, lautet ein Sprichwort aus der Heimat des Rotschopfes. Es geht dabei nicht darum, ob man durch Selbstzweifel einen überproportionierten Trainingsplan absolviert. Training zeichnet einen Ninja schließlich aus, aber Demut ist ein viel wichtigerer Aspekt. Es macht nämlich den Unterschied zwischen Stolz und Übermut. Zu stolzen Menschen sehen andere auf; übermütige möchte man meiden, man mag ihre Art nicht.
Der Lehrer schaute mit verschränkten Armen nun hinüber zu Yoshitoki. Er ließ völlig außer Acht, dass er ihn gerade bisher am ehesten gelobt hatte. Einer von euch will um jeden Preis provozieren, anecken, Aufmerksamkeit erregen. Gefährlicher Drang, wenn man ein Ninja werden will. Vor allem, wenn man bedenken sollte, dass in dramatischen Tragödien weit vor dem Höhepunkt unliebsame Nebencharaktere sterben. Im Leben versuchen Menschen auch lieber diejenigen zu schützen, die einem viel bedeuten. Es hatte alles mit Vertrauen zu tun, mit dem Gefühl, den anderen ernst nehmen zu können. Nur so entsteht ein so starkes Gefühl, dass man heute in den Herzen aller verzweifelten Menschen finden kann, egal, in welcher Not sie sind: Hoffnung. Er selbst setzt in seiner Schüler Hoffnung, und sein Wunsch, sie würden ein glückliches Leben führen können, begleitet jeden Einzelnen, dem er begegnet. Spielt man sich auf, schafft man keine Grundlage, auf der ein grundlegenes Vertrauen bauen kann. Schließlich wanderte der Blick zu Susumu, den letzten, über den er etwas sagen möchte. Oder genauer, dem er etwas sagen möchte. Einer von euch ist rechthaberisch und engstirnig. Gefährlich, wenn man bedenkt, dass es mehr Gefahren gibt, als man sich ausmalen kann. Bleibt man felsenfest bei seiner Meinung, und erweist sie sich dann als falsch, könnte es der letzte Fehler gewesen sein. Er kann schon wissen, was für eine Kunst man zum Opfer fällt, wenn man sie nicht genau beobachtet, seine Sinne für Neues schärft und sich selbst als zu kleiner Teil einer riesigen Welt sieht? Es hat mit Demut und Vorsicht zu tun, mit Lebenswille und dem Wunsch, jemanden wichtig zu sein. Nur dann kann man wirklich die Kraft finden, jeden Morgen aufzustehen, ob man nun dem Tod ins Auge blicken muss auf dem Schlachtfeld, einer herzensguten Person die letzte Ehre erweisen will oder den Tod eines anderen zu verschulden hat. Ob man helfen kann und will, beschützen, retten.
Der erste Teil der Prüfung für die Zulassung zum Genin, Masarus Augen funkelten noch ein verärgert, aber ansonsten war seine Miene wieder nur in der üblichen Strenge, soll euch das grundlegende theoretische Wissen vor Augen führen. Vor allem sollt ihr aber erkennen, was es heißt, nicht mehr den Klassenverband zu besuchen: Nur noch das eigene Wissen zählt. Die eigene Leistung wird betrachtet. Nicht umsonst gibt es relativ wenig Benotungen in der Akademie. Später im wahren Leben kann man euch keine Schulnote mehr geben: Ob ihr überlebt oder sterbt, dass ist das, was am Ende des Tages schwer wiegt. Als Unterninja helft ihr in Gruppen, Aufgaben zu lösen. Dazu ist euer Kopf gefragt. Und euer Herz. Eines Tages steht ihr vielleicht vor einem euch unbekannten Gegnertyp. Aber alle Künste, egal, wer der Anwender ist, haben ihren Ursprung in dem, was ihr kennt. Eine Genjutsu manipuliert letztlich euren Chakrahaushalt, Ninjutsu formen ihr Chakra durch die In, Taijutsu und Kenjutsu wurden durch häufige Wiederholung perfektioniert. Fuin benötigt Zeit, Juin unterbindet Kräfte. Hidenjutsu existieren, weil jemand eine geheime Kunst weitergegeben hat und seine Erben sie versuchen zu verbessern. Überall steckt ein Kern. Hier in der Akademie lernt ihr die Grundlagen: Zum Schluss müsst ihr beweisen, dass ihr das nach außen hin präsentieren könnt. Denn wir haben keine Möglichkeit, in euer Herz und eure Seele zu schauen, ob ihr bereit seid, ein Shinobi oder eine Kunoichi zu werden. Das könnt nur ihr selbst wissen. Noch einmal atmete der Lehrer aus, ehe er sich umdrehte und seine Tasche durchsuchte. Der Stunde ist beendet. Viel Erfolg für eure Geninprüfung, Jungshinobi. Ohne sich umzudrehen begann der Lehrer nun, die nicht benutzte, aber dennoch vollgeschriebene Tafel zu wischen. Vielleicht war es gerade ein wenig dick aufgetragen. Aber eines sei gesagt: Mit energischen Worten Tacheles zu reden war nicht die dem Sensei letztmögliche Option.
 
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