- Auf Deck -
Es kam mittlerweile nicht mehr allzu oft vor, doch in diesem Moment entdeckte die Hellhaarige wieder die Naturliebhaberin in sich, die sie einst gewesen war. Der Sonnenuntergang, der sich ihnen hier oben auf Deck bot, war wirklich wunderschön. Der Himmelskörper, der langsam hinter den Baumwipfeln verschwand, tauchte den Tan in ein warmes, rot-orangenes Licht. Irgendwie berührte dieser Anblick die 16-Jährige, die sich in diesem Moment daran zurückerinnerte, wie gerne sie früher den Sonnenuntergang am Meer gesehen hatte. Damals, als sie noch in Kumogakure gewohnt hatte. Zusammen mit Kenshin, manchmal auch mit ihrer Mutter. Damals, als Chiasa noch gelebt hatte. Einen ganz kleinen Moment fühlte sich Chinatsu merkwürdig einsam – insbesondere deshalb merkwürdig, weil das eine Emotion war, die sie sonst immer erfolgreich verdrängt hatte. Sie erinnerte sich an die Origami-Figuren, denen sie früher stets mithilfe des Chakras Leben eingehaucht hatte, um nicht alleine sein zu müssen. Ein kleines Lächeln legte sich auf die Lippen der Kunoichi. Und dann drang plötzlich die ruhige Stimme von Yuichiro an ihr Ohr und dem Mädchen wurde bewusst, dass das hier nicht die Vergangenheit war. Sie war nicht mehr das kleine Mädchen von damals – und die Zeiten hatten sich geändert. „Oh, Yui!“ Das erdrückende Gefühl in ihr verschwand, als ihr das bewusstwurde und die gelben Äuglein fanden zu ihrem gewohnten Strahlen zurück. Die Anwesenheit des Takegatama tat ihr gut. „Du kannst ja ein richtiger Charmeur sein!“ Chinatsu kicherte ein wenig und drehte sich zu dem Größeren, sodass sie nun seitlich gegen die Reling gelehnt stand. Sie sah zu ihm auf und zwinkerte. „Danke für das Kompliment. Wenn du das sagst, muss es ja stimmen, hm?“ Die Hasekura liebte es, wenn man ihr Komplimente zu ihrem Äußeren machte. Das wusste Yuichiro natürlich, dafür kannten die beiden Genin sich mittlerweile lange genug. Schließlich dachte die 16-Jährige darüber nach, dass Yuichiro meinte, sie könnte ihm Tipps im Aufreißen geben. Sie erinnerte sich an die Begegnungen zwischen Yui und den Damen in den letzten Tagen und erinnerte sich daran, dass die Gespräche selten besonders lange gedauert hatten. Eigentlich hatte sie gedacht, dass der Takegatama einfach kein großes Interesse gehabt hatte, doch seine Aussage nun rückte das alles in ein neues Licht. Yuichiro hätte vielleicht gewollt, aber nicht so richtig gekonnt? Oh, das konnte man so aber nicht stehen lassen! „Okay!“, begann die 16-Jährige mit Inbrunst, packte seine Hand und drückte grinsend zu. „Sobald wir wieder in Shiro sind, gehen wir mal zusammen in eine Bar mit ein paar hübschen Damen und dann gebe ich dir ein paar Tipps, die gleich in der Praxis ausprobiert werden können. Na, klingt das nicht gut?“ Ja, Chinatsu war vollkommen überzeugt von ihrer Idee und grinste von einem Ohr zum anderen. Yui hatte es so gewollt, Yui sollte es so bekommen!
Und dann wechselte das Thema zu Izuya. Die Kunoichi war sehr interessiert an der Meinung ihres Freundes und löste den Griff um dessen Handfläche. Nun legte der Schwarzhaarige seine Hand auf ihre Schulter und Chinatsu sah einen Moment auf diese hinab, bevor sie sich wieder zum Takegatama wandte und ihn aus den gelben Äuglein anblinzelte. Erwachsener... ja, vielleicht war es nur das. Es war viel Zeit vergangen seit damals... sie alle hatten sich verändert. Trotzdem fragte sich die Hasekura, was der Akinawa in all der Zeit getrieben hatte, in der er wie vom Erdboden verschluckt gewesen war. Und warum er heute so war, wie er eben war. Yuichiro jedenfalls schien überzeugt davon zu sein, dass in dem heutigen Izuya noch immer der Izuya von einst steckte. Chinatsu wollte ihm das gerne glauben. Sie hatte einen Moment wieder hinaus auf den Fluss geblickt, doch als Yuichiro weitersprach und erklärte, dass auch Natsu sich verändert hätte, dass sie Verantwortung übernehmen würde und verlässlicher geworden wäre, öffnete sich der Mund des Mädchens einen Spalt breit. Plötzlich spürte sie, was für ein Vertrauen der Takegatama ihr und ihren Fähigkeiten entgegenbrachte – nicht sie, die über sich selbst posaunte, wie toll sie war, sondern eine andere Person, die ihr sagte, dass sie gut war, so wie sie war. Das war sehr ungewohnt... aber gleichzeitig auch sehr schön. Chinatsu versuchte schnell, das warme Gefühl in ihrem Innern zu überspielen, indem sie den Blick abwandte und die Nase anhob. „Ja! Das hast du gut erkannt!“, stimmte sie ihm prompt zu, einfach weil ihr auf die Schnelle keine schlaueren Worte einfielen, um die Situation zu überspielen. Sie lachte bewusst laut. „Oh und die eigenwillige Frohnatur werdet ihr so schnell nicht los, keine Sorge!“ Das Lachen ebbte ab und einen Moment herrschte Stille auf Deck. Man hörte Vögel in der Ferne und das riesige Schaufelrad des Schiffes, das immer wieder emsig ins Wasser tauchte und sie vorwärts treiben ließ. Yuichiro durchbrach das Schweigen, als er ansprach, sie sollten noch eine Runde auf Deck gehen. Langsam wandte Chinatsu das Gesicht wieder dem Schwarzhaarigen zu und nickte. „Ja, du hast vermutlich Recht.“ Sie löste sich von der Reling und ging los. Sie waren erst ein paar Schritte gegangen, als die Stimme der Hellhaarigen erneut ertönte. „Yui?“, sprach sie aus, ohne ihn dabei anzusehen. „Danke.“ Mehr nicht. Kein Lachen, kein Kichern, kein direkter Blickkontakt. Aber Yuichiro würde es sicherlich trotzdem richtig verstehen.
- Im Casino –
Sie hatten geglaubt, Piraten wären dumm. Eine andere Erklärung gab es nicht. Aber... sie würden sich wundern. Piraten hatten deutlich mehr auf dem Kasten, als diese reichen Unternehmer dachten. Nicht mehr lange und sie würden all diese alten Snobs ausgenommen haben und mit Schmuck, Edelsteinen und vor allem einer Unmenge an Geld verschwinden. Emi konnte sich ein Grinsen bei diesem Gedanken verkneifen, das wäre zu auffällig gewesen. Aber... sie mussten geduldig sein. Nicht zu gierig. Eine hatten sie schon ausgeschaltet – dieses rothaarige Gör mit ihrem Köter. Emi fragte sich schon, wie man davon hatte ausgehen können, dass ihnen ein Gör mit Köter auf diesem Luxusdampfer nicht auffallen würde. Egal ob sie ein hübsches Kleid und die Töle eine dumme Schleife getragen hatte, das war einfach zu auffällig. Emi und Kobe waren beide im Schutze der Dunkelheit die Ersten ihrer Piratenbande gewesen, die auf dieses Schiff geklettert und zuerst aus dem Geheimen heraus Informationen gesammelt hatten. Der Hund war ihnen sofort aufgefallen – und bei näherer Betrachtung ebenso, dass das Mädchen mit dem Hund Stunde um Stunde ihre Runden drehte, aber nicht einmal ihren scheinbaren Urlaub zu genießen schien. Nicht einmal zu einem Spiel Poker hatte sich dieses Mädchen dazugesellt, obwohl sie doch auf einem Casinodampfer unterwegs waren. Emi kannte die Inuzuka und hatte sofort den Verdacht gehabt, dass dieses Mädchen mit ihrem Hund auf dem Schiff patrouillierte. Es war Kobe gewesen, der ihr aufgelauert hatte, als sie allein gewesen war. Es war für den attraktiven Piraten überraschend einfach gewesen, mit dem Mädchen ins Gespräch zu kommen, fast so, als hätte sie nur darauf gewartet, angesprochen zu werden. Genauso schnell hatte sie sich ein Getränk ausgeben lassen. Diese Rothaarige hatte nicht einmal gemerkt, dass Kobe ihr etwas untergemischt hatte und dann war es nicht mehr schwer gewesen, sie von der Bildfläche verschwinden zu lassen. Nur der Köter war eine Herausforderung gewesen, aber gemeinsam hatten sie auch ihn knebeln und neben das friedlich schlummernde Frauchen drapieren können. Eine weniger. Aber... da waren noch mehr gewesen, die zusammen mit dieser Inuzuka unterwegs gewesen waren. Und einer davon stand gerade in diesem Casino, gar nicht so weit von ihr entfernt. Emi hatte sich bemüht, sich an der Theke so zu stellen, dass dieser hellhaarige Typ überhaupt nicht an ihr hatte vorbeisehen können und auch einen Blick auf ihr Profil erhaschen konnte. Ob von ihm tatsächlich eine Gefahr für ihren Plan ausging, konnte Emi nicht abschließend sagen. Doch um sicherzugehen, sollten sie auch diesen Typen ausschalten. Die Braunhaarige in ihrem schwarzen Einteiler lächelte fein, als der Fremde tatsächlich nähertrat und sie ansprach. Er hatte angebissen – er war eben auch nur ein Mann. Attraktiv, wie Emi gedanklich zugeben musste. Kobe saß noch immer am Pokertisch und auch, wenn sie gerade nicht zu ihm blickte, wusste sie, dass er sie heimlich beobachten würde. Sobald sich die Gelegenheit ergab, auch diesen Typen hier auszuschalten, wäre Kobe zur Stelle. „Oh, war das so offensichtlich?“, erwiderte sie ertappt mit einem gespielt zaghaften Lächeln, blickte in die grasgrünen Augen des Bogenschützen. Seine Stimme war relativ leise, doch der raue Unterton entging Emi nicht. „Ich befürchte, meine Begleitung für heute Abend hat mich leider versetzt“, antwortete sie dann mit einem etwas wehmütigen Tonfall und wartete einen Moment ab, drehte sich dann um und stützte sich mit den Unterarmen auf der Theke ab, während sie mit einem Seitenblick ungeniert den Manako musterte. Sie schien einen Moment nachzudenken, lächelte dann fein. „Aber vielleicht muss ich darüber ja gar nicht so unglücklich sein? Irgendetwas habt Ihr an Euch, das mir sagt, man könnte ein interessantes Gespräch mit Euch führen...“, äußerte die Braunhaarige, die vielleicht etwas älter, aber auch etwas kleiner als Raku war. „Ein Getränk klingt gut. Wisst Ihr, ich würde Euch gerne auf mein Lieblingsgetränk einladen. Darf ich Euch damit vielleicht überraschen?“ Ohne lange zu warten, sah sie zum Barkeeper, winkte ihn herbei und raunte ihm ihre Bestellung ins Ohr. Was Raku nicht wusste – Kobe hatte die Anweisung, für eine kleine, nicht zu auffällige Ablenkung zu sorgen, sobald die Getränke kamen. Ein kleiner Moment, der Emi reichen würde, um in das Getränk für Raku das gleiche Pulver zu mischen, das auch schon das rothaarige Mädchen bekommen hatte und das auch ihn – langsam, aber kontinuierlich – ins Reich der Träume schicken würde. Ob der Plan aufging? Bei dieser rothaarigen Inuzuka hatte es auffallend gut funktioniert.