Isamu hatte damit gerechnet, dass der Reisende sich demütig bei ihm bedankte, aber was dann geschah, hatte er sich in seinen kühnsten Träumen nicht vorstellen können. Isamu hatte schon immer eine grobe Vorstellung davon gehabt, wie er die ultimative Standhaftigkeit im Wasser erlangen konnte. Er war dem Wasser nie fern gewesen und hatte schon einige Clanmitglieder gesehen, die die Fähigkeiten des Clans nutzten, um das Terrain zu meistern. Zusätzlich gab es genug Aufzeichnungen über Yamakabe Han, wie er das Element meisterte. Die Schuppe des Meeresgottes, nach derer Isamu gerade suchte, war sogar ein Teil davon. Die Meisterung der Luft war hingegen selten und nur sehr schwammig beschrieben. Es war offensichtlich schwieriger, weshalb er noch keinen Yamakabe gesehen hatte, der dies geschafft hatte oder zumindest keinen, der es offen zur Schau stellte. Jetzt schien sich die Lösung für diese Herausforderung direkt vor seinen Augen zu präsentieren.
Hast du ihn geschickt, Han? Der Rotschopf bewegte sich so mühelos durch die Luft, wie ein Fisch sich durch das Wasser bewegte. Fasziniert beobachtete Isamu das Schauspiel und hatte seinen Entschluss schon gefasst:
Das muss ich lernen. Das war die Lösung, nach der er gesucht hatte: Fuuton. Es wirkte so naheliegend, aber bisher hatte Isamu das Windelement – und eigentlich auch Ninjutsu generell – immer verschmäht. Es schien in seinen Augen das unwürdigste der Elemente für einen Yamakabe zu sein. Es hatte von allen Elementen die am wenigsten Feste Form in Isamus Augen und wirkte so gar nicht widerstandsfähig auf ihn. Vielleicht musste er seinen Blick auf das Element nochmal überdenken?
„Eine exzellente Lösung. Ich will das lernen.“, bekundete Isamu sogleich und nickte entschlossen. Etwas enttäuschend war dann die Auflösung, dass es sich bei seinem gegenüber nicht um einen Fan handelte, sondern seinen Missionspartner: Hayabusa Ray. Aber konnte er nicht auch beides sein?
Isamus Mund öffnete sich ein wenig als Ray eine Ausgabe vom Buch der Perfektion aus seiner Tasche zog, schloss ihn dann schnell wieder als dieser mit seinen Ausführungen fortfuhr. Ray hatte offensichtlich als Außenstehender das Buch der Perfektion gelesen. Er hatte sich sogar damit beschäftigt und versucht einzelne Regeln zu interpretieren. Zusammen mit der beeindruckenden Vorstellung seiner Fuutonkünste, hatte Isamu kurz überlegt, ob Ray das Potential hatte Jirokou Shusui von Platz 1 seiner 82er-Liste zu verstoßen. Der Fakt, dass Isamu selbst zu den Hardlinern des Clans zählte, machte diese Spitzenposition zumindest vorerst zunichte. Beseelt vom Geist des Yamakabe Han verhärteten sich Isamus Gesichtszüge und er setzte – ungewöhnlicherweise – zu einer Rede an.
„Hayabusa-kun.“ Seine Anrede hatte sich automatisch verändert, da sein Respekt vor dem Ranghöheren durch die Ausführungen ein wenig gesunken war, auch wenn er ihn gleichzeitig dafür schätzte, Zeit in den Yamakabe-Clan investiert zu haben.
„Du kannst kämpfen, wie du willst.“ Isamu musste niemals nachschlagen, was im Buch der Perfektion stand. Er kannte die Beispiele, die Ray ansprach, interpretierte sie aber anders. Es stimmte, dass Außenstehende in Extremsituationen Klingen nutzen durften, ohne dafür bestraft zu werden, allerdings machte es das nicht zu einer guten Sache. Es waren keine Menschen, die auch nur ansatzweise für den Weg der Perfektion geeignet waren. Es waren schwache Leute, die – zumindest in Isamus Augen – lediglich aus Mitleid Klingen nutzen durften, da sie eh verloren waren. Für ihn waren diese Situationen allerdings schwierig nachzuvollziehen, da er lieber sterben würde, als seine Hand an eine Klinge zu legen.
„Du musst selbst entscheiden, ob du einer dieser Außenstehenden sein willst.“ Ein wenig ehrliche Trauer spiegelte sich in seinem Blick wider, denn Isamu hätte gerne jemand neuen weit oben auf seiner Liste hinzugefügt. Warum war es so schwierig Leute zu finden, die sich nicht der scheußlichen Versuchung einer Klinge hingaben?
„Kunai, Shuriken, Pfeile. Das sind nicht die Quellen deiner Kraft. Es sind Blockaden für deinen Fortschritt. Wenn du von vornhinein ohne diese Dinger trainiert hättest, würden sich dich jetzt auch nicht einschränken.“ Wenn man Isamu kannte, war es fast schon merkwürdig ihn so reden zu hören, aber wenn es um die Verteidigung und Interpretation der Clanideale ging, fiel es ihm leicht die richtigen Worte zu finden.
„Du wirst niemals die Möglichkeit haben an die Spitze zu kommen, denn an einem wahren Yamakabe würdest du mit diesen Werkzeugen nie vorbeikommen. Diese jämmerlichen Dinger geben dir ein falsches Gefühl von Sicherheit. Zweifelsohne ist Regel 82 wichtig, aber diese Verbündeten müssen auch den richtigen Weg einschlagen. Du hast Potenzial, aber Klingen werfen dich auf diesem Weg nur zurück. Ich bete, dass du das irgendwann erkennen wirst.“ Es machte fast den Eindruck als würde Isamu eine predigt halten oder einem frisch Verurteilten ein paar Hinweise mitgeben, bevor dieser eine lebenslange Haft antrat.
„Dein Kampfstil würde auch völlig ohne Klingen funktionieren.“ Fügte Isamu noch hinzu, denn irgendwie hatte er das Gefühl, dass Hayabusa Ray noch nicht verloren war. Er drehte sich um, nahm das Bild vom Kyogan und reichte es Ray. Seine Entscheidung würde er jetzt nicht mehr rückgängig machen.
„Vielleicht erinnert es dich in den richtigen Momenten daran.“ Dann nahm Isamus Gesicht wieder entspanntere Züge an.
Es war wie, als ob ein Schalter umgelegt wurde und der predigende Geist von Yamakabe Han seinen Körper verlassen hatte, als Isamu sich wieder der Mission widmete, an die Ray ihn freundlicherweise erinnert hatte.
„Nun. Dann können wir jetzt zu diesem Gasthaus gehen und die Besitzer fragen, wo der Städter ist oder hast du noch weitere Fragen zum Buch der Perfektion?“ Damit hatte er auch bereits die gesamte Missionsplanung auf den Punkt gebracht, die er betrieben hatte. Deshalb brauchte es in seinen Augen auch keine weitere Missionsbesprechung.
@Hayabusa Ray