Mit einer Gewissheit, dass er sich nicht beeilen musste sondern sich Zeit lassen konnte, kam Narbe der jungen Schmiedin näher. Schritt. Für Schritt. Für Schritt. Die Augen des Löwens langen ruhig, erwartend auf den Seelenspiegeln der jungen Schmiedin. Narbe hegte keinen Zweifel, dass er auch diesen Menschen zerreisen und zerfetzen würde, wie all die anderen zuvor. Wie ein verwundetes Tier musste sie sich, auf einem Bein hinkend, durch die Arena schleppen um eine vorsichtige Distanz zwischen ihm und ihr zu wahren. Doch bald würde ihr der Platz ausgehen. Als sie endlich mit dem Rücken zur Wand stand, setzte Narbe zu einem Sprung an. Seinen muskulösen Körper konnte das Raubtier wie aus dem Nichts in die Luft befördern, mit den Krallen voran und aufgerissenem Maul versuchte er, auf dem Menschen zu landen. Hatte er sie einmal unter seinem schweren Leib begraben, so konnte sie den messerscharfen Zähnen, die schon so vielen das Leben beendet hatten, nicht mehr entkommen.
Flackerndes Licht aus Feuerkörben und von Fackeln tauchte die Arena in warmes, waberndes Licht. Mit jedem Schritt, den Ayumi tat, tanzten duzende ihrer Schatten die Wände der Grube entlang (jetzt ein Nara sein, hm?). Obwohl ihr Gegner auf allen Vieren ging, stand sie ihm Auge in Auge. Es war wie ein kleiner Tanz, Ayumi trat zurück und der Löwe folgte ihr. Selbst mit schmerzhaft pochendem Bein kniff Ayumi die Zähne zusammen und wagte es nicht, ihre Augen von ihrem Kontrahenten zu nehmen. Blickte sie in die Bernsteine, die tief im Gesicht der Raubkatze saßen, sah sie Entschlossenheit und Siegessicherheit. Was Narbe wohl in ihren Augen sehen würde?
Dann stieß Ayumi mit dem Rücken gegen die Wand der Arena. Ihr Blick schweifte nur einen Herzschlag lang nach hinten, intuitiv blickte die Schmiedin sich um, dann war er schon unterwegs.
Ayumi hechtete zur Seite und schaffte es geradeso, sich unter dem König der Tiere (und sicher auch dem König dieser Arena) hinwegzuducken. Ihr linker Arm schnellte nach vorne, streifte den Leib Narbes nur kurz, doch das reichte aus, um ihr Jutsu zu entfesseln. Mit einem kleinen Knall, als lasse man eine Papiertüte platzen, entlud sich die in ihrer Rüstung aufgebaute elekrische Ladung in den Leib des Löwens.
Wie eine Gazelle hatte der Mensch sich im letzten Moment unter den Pranken des Löwens hinweggeduckt, kaum einen Moment später traf ihn ein bekanntes Gefühl. Diese Menschen, sie waren alle gleich. Mit Stromschlägen hatten sie ihn gefangen gehalten, ihn abgerichtet, ihn trainiert, ihn bestraft. Er hasste dieses Gefühl, es war ein Sinnbild für seine Auswegslosigkeit geworden. Tief knurrend richtete Narbe sich erneut auf, schüttelte den Leib. Es war kein starker Schlag gewesen, weit weniger stark wie die Gitterstäbe ihn trafen, die seinen Käfig bildeten, wann immer er nicht in der Arena kämpfte. Dennoch würde das Raubtier seine Beute für diese Beleidigung leiden lassen.
Aufmerksam blickte Ayumi sich um. Sie hatte nur ihre Rüstung, keine Waffe, doch das hielt eine Kajiya nicht ab. Sie musste zu erst versuchen, nicht zu sterben, und dann einen Weg finden, den Kampf zu gewinnen. Glücklicherweise hatte sie einige Tricks auf Lager. Ihr Blick wanderte kurz über den Kontrahenten hinweg zur Begrenzung der Arena. Es war ein Maschendrahtzaun, der an einigen Stellen mit Kabeln verbunden war. Sicher stand er auch unter Strom. Vielleicht kannte die Schmiedin sich das zunutze machen? Eine Art Kabel oder Leiter improvisieren und damit den Löwen ausknocken? Ein Versuch war es wert. Doch dazu brauchte sie Zeit, die ihr der Löwe sicher nicht geben würde. Doch auch dafür hatte Ayumi eine Lösung parat. Sie schloss die Hände zu einem Fingerzeichen zusammen.
"KATON..."
Von Mordlust und Stolz getrieben schüttelte Narbe die Wirkung des Stromschlages ab. Seine schweren Schritte im staubigen Arenaboden waren Boten des Untergangs, der das Mädchen gleich ereilen würde. Zwei dieser Schritte nahm er als Anlauf, dann setzte er zu einem Prankenhieb an, doch noch bevor seine Klaue das Ziel erreichte, spie das Mädchen schwarzen Rauch aus. Der qualmige Gestank eines Buschfeuers irritierte die Bestie, ließ ihn zurückweichen. Er hatte seine Beute aus den Augen verloren und wittern konnter er sie auch nicht mehr. Abwartend wich er ein wenig zurück, doch der Rauch legte sich nicht. Aufmerksam schritt Narbe von links nach rechts und zurück. Er hasste es zwar, hier ein Gefangener zu sein, doch die Menschen, die ihn hier banden, hatten bisher zumindest immer dafür gesorgt, dass keine Beute ihm entkommen konnte.
Um Ayumi herum war alles schwarz. Sie sah nichts mehr, konnte aber definitiv hören, dass die Zuschauer mit ihrer feurigen Rauchwolke alles andere als zufrieden waren.
"Nur die Ruhe!", rief sie, über das enttäuschte und empörte Murmeln hinweg.
"Ihr kriegt eure Action!"
Währenddessen arbeiteten die Hände Ayumis auf Hochtouren. Aus ein wenig Metallschrott, den sie immer bei sich hatte, und der ihr glücklicherweise nicht abgenommen wurde, hatte die Schmiedin mit ihrem Bluterbe schon ein kleines Wurfmesser hergestellt und zwischen die Zähne geklemmt, nun war die zweite Waffe dran, ein einfaches Kunai. Zu gerne hätte die Schmiedin mit dem restlichen Metall ein Stahlseil oder eine Kette geformt, doch dazu fehlte die Zeit. Denn während sie ihr Bluterbe verwendete, konnte sie den Rauch nicht aufrecht erhalten, der langsam aber gnadenlos beständig lichter wurde. Bald war ihre Vorbereitungszeit vorbei. Nur ein letztes Jutsu noch. Die Schmiedin legte die Hand auf den linken Armschoner und beschwor mit dem
Reiko no Jutsu alle Härte, die sie aufbringen konnte, in die Panzerung. Sie musste Narbe standhalten.
Endlich, endlich lichtete sich der Qualm und satt des Wartens stürzte der Löwe sich hinein, auf die Gestalt, die er so langsam zu erkennen meinte. Doch der Mensch wich wieder aus, indem er ein Stück der Arenawand erklomm. Wie eine Fliege konnte das Mädchen an der senkrechten Wand kleben, das hatte Narbe nicht eingeplant. Schnell setzte er zu einem Sprung an, doch der Mensch war schon unterwegs, rannte die Wand entlang. Dem Löwen blieb nichts weiter übrig, als erneut und erneut nach seiner Beute zu springen, doch erneut und erneut ins Leere zu greifen.
Endlich war ein wenig Applaus zu vernehmen, als Ayumi den Baumlauf verwendete, um sich kurzzeitig aus der Reichweite ihres tierischen Kontrahenten zu begeben. Doch den Arenarand lief Ayumi nicht nur entlang, um es Narbe schwerer zu machen, sie zu erreichen, sie musste auch eine geeignete Stelle im Zaun zu finden. Und das tat sie. Ayumi schleuderte das Wurfmesser, doch warf sie es nicht auf den Löwen sondern zerteilte damit eines der Kabel, die den Arenazaub unter Strom setzten. Die Kajiya war zwar keine Elektrikerin, aber dass Kabel Strom transportierten, das konnte selbst sie erahnen. Und auch, dass sie innen drin aus Metall bestanden.
Funken stoben, als der Elektrozaun in seiner Verbindung unterbrochen wurde. Sofort sprangen ein paar Handlanger auf, begannen ihre Armbrüste und Speere bereit zu halten, erwarteten sie doch einen Fluchtversuch von Ayumi, doch die sprang wieder in die Arena hinein.
Es hatte sich endlich ausgerannt und ausgeflüchtet für das Mädchen. Sie war von der Wand gefallen, stand nun wieder in der Arena. In einem letzten Anfall an Kampfeslust begab sie sich in eine tiefe Stellung, wie ein Büffel, der mit den Hufen scharrte, um Narbes Angriff frontal abzufangen. Das würde er sie versuchen lassen, denn im Gegensatz zu einem Büffel hatte dieser Mensch keine Hörner. Narbe nahm Anlauf und sprang.
Als die Raubkatze auf Ayumi zusprang, sah sie die nächsten Sekunden vor ihrem geistigen Auge ablaufen. Sie wusste, was sie zu tun hatte. Angriff mit der gehärteten Rüstung blocken, Konterangriff mit dem Kunai und dann das befreite Stromkabel mit dem Bluterbe mit dem Kunai verbinden. Löwe geschockt, Kampf gewonnen. Nur ihre Rüstung musste dem Angriff des Löwen standhalten, den Rest würde Ayumi hinbekommen.
Dieses Mal wich der Mensch nicht aus. Mit den Tatzen landete er auf ihren Schultern, riss sie rücklings auf den Boden. Narbes Maul schnappte herab, würde kurzen Prozess mit seiner Beute machen. Ein Biss in den ungeschützten Hals und es war um den Menschen geschehen.
Gerade rechtzeitig riss Ayumi den linken Arm hinauf und brachte den geschienten Unterarm zwischen das Maul des Löwen und den Hals. Die Zähne schlossen sich um ihren Arm.
"HALTE!", flehte sie ihre Rüstung an, während die recte Hand gnadenlos das geschaffene Kunai wie einen Eispickel auf die Schnauze des Löwens zutrieb.
Narbes Kiefer schloss und er hörte sie bersten - seine Zähne. Es war, als hätte er mit voller Kraft auf einen Stein gebissen. Momente später schoss ein brennender Schmerz durch seinen Kopf, denn der Mensch hatte eine feine Klinge in sein Gesicht gebohrt. Es war nicht das erste Mal, dass jemand die Raubkatze gestochen hatte, daher ließ er nicht locker.
Erleichtert atmete Ayumi aus. Die Rüstung hielt dem Löwen und seinem Biss stand. Mit dem Kunai, das nun im Kopf des Raubtiers steckte, an Ort und Stelle, war es Zeit für den letzten Teil von Ayumis genialem Plan. Sie brachte die rechte Hand zur linken, die immer noch gefährlich nahe an den Zähnen Narbes waren, faltete die Hände zum Schlangenzeichen, und konzentrierte sich auf das freigeschnittene Kabel. Ironischerweise machte es auf Ayumi den Eindruck einer giftigen Schlange, wie es zischend und Funken-schlagend durch die Luft getragen wurde. Bald würde es sein Opfer finden.
Wut keimte im Löwen auf. Wie konnte dieses niedere Lebewesen es wagen, sich ihm zu widersetzen? Er hatte sie doch schon auf den Boden gedrückt, nun musste er ihr nur noch den Garaus machen? Doch der Arm des Mädchens hielt seinem Biss stand und verhinderte, dass Narbe ihr an die Kehle konnte. Also riss er daran.
Das Kabel war schon in Sichtweite, da spürte Ayumi plötzlich einen Ruck am Arm. Der Löwe hatte ihren Unterarm noch immer fest in den Kiefern und versuchte, ihn aus dem Weg zu reißen. Ayumi biss sich durch , konzentrierte alle körperliche Kraft die sie hatte, die Hände beieinander zu halten, denn das Stromkabel war nur noch Zentimeterweit vom Kunai entfernt.
"KOMM SCHON VERDAMMT!"
Narbe drehte den Kopf, zerrte so gut er konnte. Dann traf ihn ein Blitzschlag, direkt ins Gesicht. Wo das Menschenmädchen ihn zuvor gestochen hatte, hatte sich nun ein schwarzes Seil verstrickt, und mit einer Kraft wie Narbe sie kaum kannte, schlug ihm die Elektrizitöt durch den Leib.
Ayumi grinste siegessicher auf, als sie die Stromleitung um den Kunaiknauf gewickelt hatte. Der Stromschlag sollte selbst für den König der Tiere reichen, den würde sie gleich entthronen.
Doch Narbe gab nicht nach. Er riss und zerrte weiter. Mochte auch der Rest seines Körpers ihm nicht mehr gehorchen, so zwang er jeder Faser seines Willens in diesen Akt.
Ayumi atmete flach aus, als der Löwe über ihr zusammenbrach und sein schwerer Leib auf ihren krachte. Unfähig, sich zu befreien, schlug trampelte sie aus. Wo sie sich zuvor durch die Arena hatte ziehen und schieben lassen um nicht ganz der Kraft des Löwens zu erliegen, fiel dies auf einmal Weg. Und so schrie sie auf, als Narbe ihr den Ellenbogen umdrehte.
Mit einer Verzweiflung in seiner Handlung riss Narbe den Kopf hin und her, drehte ihn und damit den Arm in seinem Maul.
Ayumi kreischte grell auf, als eine weitere Windung Narbes ihr den Unterarm derart drehte, dass sie ihren Ellenbogen splittern spürte. Verzweifelt strambelte und zerrte sie, griff mit der freien Hand nach irgendeinem halbwegs spitzen Metallsplitter in ihrer Tasche und hieb und stach auf den Löwen ein, erreichte die Seite seines Halses und punktierte sie, so gut sie konnte, doch der ließ nicht locker.
Mit einem letzten Ruck riss Narbe den Arm des Menschen aus. Warmes Blut benetzte endlich seine Lippen, doch war es nicht nur das Blut seiner Beute. Aus unzähligen kleinen Wunden an seinem Hals tropfte mittlerweile der eigene Lebenssaft. Immerhin... eine Narbe hatte er schlagen können...
Einen Moment lang blickte Ayumi ungläubig auf den eigenen Arm, den der Löwe im Maul hielt. Er war nicht mehr da, wo er hingehörte. Dass die kleine Schmiedin Blut hutestete, nahm sie kaum selbst wahr. Für einen unwirklichen Augenblock lang fühlte sich ihr ganzer Körper dumpf und taub an.
Dann setzte der Schmerz ein. Ayumi schrie aus, schrie sich die Seele aus dem Leib und presste ihren blutenden Arm, der irgendwo am Ellenbogen endete, gegen den Körper. Und während sie schrie und weinte, zog sich ihr Verstand langsam zurück und setzte aus. Ließ die kleine Schmiedin sie wie eine Beifahrerin im eigenen Körper fühlen, der durch eine beschlagene Scheibe nur Bruchstücke der Realität wahrnehmen konnte.
Dass Ayumi noch schrie und Narbe leblos über ihr zusammengesunken war, bedeutete wohl, dass sie den Kampf gewonnen hatte.
Hände griffen nach der Schmiedin, zerrten sie unter dem Löwen vor.
Die Füße Ayumis streiften auf dem Boden, als sie durch dunkle Gänge getragen wurde.
Ein harter Tisch in ihrem Rücken.
Zischen, der Geruch von verschmortem Fleisch.
Und dann endlich, endlich erlösende Ruhe und ein traumloser Schlaf.
@Hyuuga Mari @Tatsumaki Hei