Auch ein Presslufthammer, sonntags morgens um fünf Uhr konnte einmal Erfolg haben – und heute hatte Kumiko auch einmal das Korn eines blinden Huhns gefunden, indem sie die korrekte Reaktion ausgewählt hatte, um ihren Trainingspartner vom Weiterkämpfen abhalten zu können. Dass gerade so jemand wie Souta von Anfang an durchschaut hatte, dass sie in echt ganz genau darauf gezielt hatte, ging der Blondine absolut nicht auf. Nämlich badete sie gerade ein wenig zu sehr in dem seltsamen Gefühl des Teilerfolges, ohne sich davon etwas anmerken zu lassen, während ihr die offizielle Geste angeboten wurde, die dieses Training förmlich beendete: Das Siegel der Versöhnung. Ganz ohne Frage und ohne auch nur eine Mikrosekunde zu verlieren, formte sie ihrerseits ebenfalls das nötige Zeichen. Natürlich war das da nicht nur ein komisches Zeichen, das man eben machte, weil man es musste; es hatte eine tiefer gehende Bedeutung: Das Zeichen der Aussöhnung zwischen zwei Ninjas versicherte beiden jeweils die Kameradschaft ihres Gegenübers. Auch ohne eben jenes Zeichen hätte sie gewusst, dass Souta notfalls ans Äußerste gegangen wäre, schließlich hatten sie zusammen in dem Genjutsu einer Rabenelternkatze gesteckt, wo er dies recht eindrucksvoll unter Beweis gestellt hatte. Ihr eigener Beweis, dass er dasselbe von ihr erwarten konnte, stand noch immer aus, aber irgendwie hatte die Blondine das Gefühl, dass er die Bestätigung erst einmal nicht einfordern würde.
Anstatt ihre Versicherung, jedwede Folge ihres unverantwortlichen Handelns zu akzeptieren, überhaupt in Betracht zu ziehen, wunderte sich das Blondchen doch nicht schlecht, als es aus heiterem Himmel zum Frühstück bei der Familie ihres ehemaligen Kontrahenten eingeladen wurde. Eigentlich war sie geneigt gewesen, sofort abzulehnen, aber gerade, als sie zu der Antwort ausholend Luft holte, ging es ihr auf: 'Das muss die Bestrafung sein!' Das musste einfach heißen, dass ihm klar war, wie anstrengend sie ihn manchmal fand, und wollte sie in der Höhle des Löwen sehen. Es war völlig logisch: Wenn er schon so schlimm war und bei ihm diese entsprechenden Charakterzüge aufgrund seines Alters noch nicht gefestigt waren, musste er Kumiko seiner Familie aussetzen, um eine noch höhere Yamasarubelastung zu garantieren – er wollte sie völlig in den Wahnsinn treiben! Eine angemessene Bestrafung, wie sie fand, daher war ihre Antwort klar, wie versprochen: »Ich werde mich fügen.«
Auf dem Weg in die Höll- zum Haus der Yamasarus es war überdeutlich, dass ihr Begleiter es vermutlich erst einmal langsam angehen lassen musste, und war wirklich auf jedem einzelnen Meter des Weges zum Bersten gespannt, im Notfall auffangend eingreifen zu können. Für den Fall des Falles hätte sie ihr gegenüber nicht zu ihm nach Hause bringen können, nachdem sie ja nicht wusste, wo er überhaupt wohnte. In diesem Fall hätte er stattdessen Bekanntschaft mit ihrer kahlen, leeren Wohnung gemacht und sich dort sicherlich zu Tode gelangweilt. Aber glücklicherweise überstand er den Weg irgendwie und schaffte es sogar, die Stufen zu überwinden, die zu dem führten, was Kumiko als dessen Zuhause mutmaßte. Sofort fragte sich die Blondine, ob es wirklich so eine gute Idee gewesen war, einfach so zuzustimmen, hier mit hinzukommen. Jetzt gab es aber kein Zurück mehr, und das wusste sie ganz genau. Versuche, ihr Eintreten hinauszuzögern, indem sie ihr Schuhwerk an der Fußmatte keimfrei schrubbte, schlugen fehl, denn es wäre durchaus ein bisschen unhöflich, seinen Gastgeber zu lange warten zu lassen. So zwang Kumi sich, einen Schritt ins Innere zu machen, während sich so etwas Ähnliches wie Nervosität in ihr ausbreitete.
Sorgsam öffnete sie ihre Fußbekleidung, wie es sich gehörte, und stellte die übrig gebliebenen Dinger an die Seite. Ein Blick nach unten beschied ihr allerdings, dass ihre Socken ebenfalls nicht besonders sauber waren. 'Hmh… Durchgeweicht.' So würde sich ihre Fußabdrücke in der ganzen Wohnung hinterlassen, also mussten die Söckchen auch noch ab. Letzten Endes schlich Kumiko barfuß durch das traute Heim Soutas, folgte ihm bis zum Wohnzimmer und hielt sich soweit aus der halbherzigen Diskussion ob Souta nun ein Schatz war, oder nicht, heraus. Bisher war es ein Leichtes, diese Strafe abzusitzen, aber das konnte sich schlagartig ändern – und zwar genau jetzt!
Im Gegensatz zu Kumiko, war Souta nicht alleine, wenn er nach Hause kam. Kumiko mutmaßte, natürlich völlig unabhängig von der äußerlichen und charakterlichen Ähnlichkeit der Beiden, dass es sich bei der doch recht jung aussehenden Dame um die Mutter ihres Begleiters handeln musste, der Kumiko gleich mit Namensverwirrung, Souta-Style, vorgestellt wurde. Der Gedanke, den Irrtum zu korrigieren, wurde erbarmungslos fortgeblasen, als Reika – so wollte sie offenbar genannt werden, gleich ein ganzes Arsenal aus Herzlichkeiten und Wärme auspackte. Reisbällchen waren nur der Träger für diese unterschwellige Botschaft des Willkommenseins, die irgendwie bei Kumiko ankam, diese aber völlig und deutlich überforderte. Die grünen Augen des Mädchens wanderten zuerst zwischen Souta und Reika hin und her, schlossen jedoch bald diverse Möbelstücke mit ein.
Eigentlich war Kumikos Leben schön unkompliziert: Trainieren, bis das Dorf ihr irgendeine Aufgabe zuteilte. Darin stand dann meistens, wem sie begegnen würde und wie sie mit demjenigen umzugehen hatte – aber hierauf hatte sie nichts vorbereitet. Gar nichts. 'Was muss ich jetzt …?' Die Augenbrauen der Blondine vollführten verschiedene Bögen, zogen sich zusammen und entspannten sich wieder. Unterdessen formte ihr Mund stumme Laute, um mehrfach zu einer Antwort anzusetzen, aber es kam nichts heraus. Ein zackiges „Hai!“ wäre unangebracht, das wusste sie ganz genau, aber ihr fiel nichts Besseres ein, so sehr sie sich auch bemühte. Wenigstens musste sie sich damit nicht lange abkämpfen, denn der nächste Streich kam sogleich: Dusche!
Ernsthaft, Kumiko war noch keine Minute im Haus und bekam gleich eine heiße Dusche angeboten. Im Gegensatz zu diesem herzlichen Vibe, der ihr hier entgegenquoll, konnte sie diese Anregung aber durchaus verstehen: Sie war voller Schlamm und würde nur unnötig die Wohnung vollsauen, wenn sie blieb, wie sie war. Jedoch schwang besagter Vibe auch hier wieder mit und schaffte es, Kumikos Gedankengänge nochmals kräftig durch den Mixer zu schicken. »Ähm…« krächzte sie nach einiger Zeit hervor und vervollständigte ihre Antwort bald mit einem ungewohnt kleinlautem Tonfall leise: »Das wäre … sicher in Ihrem Sinne. Schließlich wäre ich ungerne dafür verantwortlich, Ihre Wohnung zu verschmutzen.« Blickkontakt war längst nicht mehr möglich, was war da bloß los? Ob Souta oder Reika sich an dem Stimmungswandel der Blondine störten, konnte sie nicht beurteilen – das hätte sie sicher auch nicht hinbekommen, wenn es um irgendjemand anderen gegangen wäre. Ob es wirklich unsagbar schnell ging, oder sie die Zeit nicht richtig wahrnahm, ehe sie schon ein frisches Handtuch in den bleichen Händen hielt und sich im Bad wiederfand, wusste sie nicht.
Irgendwie fühlte sie, die stets distanzierte und emotionslose Kumiko sich unsagbar klein und unbedeutend – und das nur wegen eines Reisbällchens und einer Dusche, das musste man sich einfach mal vorstellen. Nichtsdestotrotz entkleidete sich das junge Ding, sobald es sicher war, allein zu sein und stellte sich unter die gewähltermaßen eiskalte Dusche. In dem völligen Bewusstsein, dass das sowohl nicht ihre eigene Dusche war, als auch Souta sicher auch schnell den Schlamm aus seiner güldenen Mähne haben wollte, befasste sich Kumiko nur mit dem Nötigsten: Matsch aus dem Haar, mit einer Shampoomenge behandelt, die so gerade eben ausreichte, den Rest des Körpers schnell aber ordentlich gewaschen und fertig. Nackig, wie sie geschaffen, stakste sie aus der Duschwanne und krallte sich das bereitgelegte Handtuch. Zuerst rubbelte sie sorgsam ihr Haar so gut wie trocken und trocknete sich dann das Gesicht.
'Weichspüler?' Es war zum Haare raufen. Sogar die Handtücher versprühten eine eigenartige Wärme, als hätte sich die ganze Welt gegen sie verschworen. Dieses Gefühl, diese Emotion war Kumi nicht unbekannt, aber sie hatte sich damit bereits viele Jahre nicht auseinandersetzen müssen. Im Laufe der Zeit hatte sie einfach den Gedanken akzeptiert, dass sie ein Werkzeug war und ihr Leben danach ausgerichtet, einfach zu funktionieren. Emotionen waren schlicht nicht mehr vorgesehen gewesen. Der Besuch in diesem Haus hatte mit weniger als drei Sätzen geschafft, sich daran zurückzuerinnern. Die eiskalte Dusche hatte die Reisbällchen wieder aus ihrem Herzen verbannt, aber dann war das Handtuch gekommen und hatte ihre Verwirrung wieder zurückgezerrt. So schlüpfte Kumi in eine Ersatzgarnitur Kleider, die sie in einem Siegel mit sich getragen hatte, spülte noch schnell den Duschraum ab, um keine Schaumspuren oder derlei zu hinterlassen und entschlich dem Bad genauso verwirrt, wie sie es betreten hatte.