Sie war sich ziemlich sicher, dass sie sich diese Lichter auf der Rückseite des Hauses nicht eingebildet hatte, aber dennoch: ein klein wenig froh, dass Kiyama-san die Teile auch bemerkt hatte, war sie schon noch – so musste Kumiko nicht anfangen, an Geister zu glauben und konnte sich weiter mit dem Gedanken beschäftigen, dass sie es mit einem gut durchgeplanten Scherz, oder aber einem Genjutsu zu tun hätten. Mit etwas Glück hatte einer der beiden Kollegen, mit denen sie hier war etwas mehr Erfahrung mit dieser Art von Technik – die Blondine hätte ein Genjutsu nämlich nicht erkennen können, wenn man es ihr direkt ins Gesicht brüllte – in diese Richtung sollte sie ihr Training also definitiv ausdehnen. Zwar hatte Kumiko-chan sich schon länger vorgenommen, sich ein wenig intensiver mit Genjutsu auseinanderzusetzen, aber irgendwie war es nie zur praktischen Umsetzung gekommen. Letztlich blieben Genjutsu uninteressant, kompliziert und seltsam für die blonde Taijutsuka, als dass sie sich damit lange und geduldig beschäftigen konnte – aber das »Kai« würde sie definitiv irgendwann lernen müssen – es jetzt schon zu beherrschen, wäre gewiss einiges wert gewesen, als sich das Mädchen so seine Gedanken zu dieser Mission machte.
Auf jeden Fall sollten sie jetzt endlich erfahren, um wen es auf dieser Mission gehen sollte; bisher war Kaji nur der Name auf der Missionseinweisung, die erfahrungsgemäß mehr als nur knapp ausgefallen war. Ein Blick auf das Gesicht dahinter nahm den kühlen Buchstaben auf diesem Schriftstück das unpersönliche und beantwortete, wie bei einigen Missionen, die dieser vorangegangen waren auch, inwieweit ihre Auftraggeber auch glaubwürdig waren. Speziell an einen gewissen Hausdiener bei einer Mission bezüglich einer »Entführung« musste Kumiko-chan dabei denken; bei ihm hatte sich herausgestellt, dass er nicht nur auf der anderen Seite stand, sondern, dass die Entführte das auch tat und sie sich sowohl untereinander, als auch mit den … ähm … Entführern ganz ausgezeichnet verstanden.
Hoffentlich war das nicht anders und die Familie Kaji versuchte nicht nur, irgendeine krumme Tour legitim aussehen zu lassen, indem sie diese Geistergeschichtennummer durchzog – wenn ja würde sie dieses Mal ganz gewiss irgendwem die Beine brechen, nachdem sie das ja letztes Mal schon nicht durfte. Das Haus an sich wurde jedenfalls nicht gruseliger, je näher sie kamen. Auch der Garten blieb gut gepflegt und idyllisch, nachdem sie das Gartentürchen passiert hatten. Na gut, die versiegelten Fenster waren schon ein wenig seltsam, aber in Anbetracht der Situation auch nicht allzu ungewöhnlich – sie passten nur nicht zu dem hübschen Drumherum des Waldhäuschens. Die beiden unbemützten Blondschöpfe wurden einfach hübsch um ihren Taichō drapiert, um Schrecksekunden vorzubeugen, bevor sich dieser anschickte, die Bewohner dieses Domizils auf ihre Anwesenheit aufmerksam zu machen. Sicher verstand Kumiko den Sinn und Zweck dieses Unterfangens, aber 'wir sind Ninjas, keine Schaufensterpuppen.' Sie gehorchte trotzdem, um die Situation unkompliziert zu halten.
Es vergingen die Sekunden, in denen sich einfach gar nichts tat – und es waren viele Sekunden, die vergingen, bevor sich die Tür, vor der die Drei postiert waren, lautlos einen Spalt weit öffnete und sie von einem neugierigen, wie auch vorsichtigen und ängstlichen Augenpaar begrüßt wurden. 'Die Augenringe zeigen zumindest, dass sie wirklich Angst hat, oder sich gut schminken kann', das konnte man ja heutzutage nie so ganz genau wissen. Hiragana-Taichō ging sofort zur Begrüßung über und stellte seine beiden Begleiter vor, er verlor keine Zeit, so gefiel der Blondine das! Während sie vorgestellt wurde, wollte sie sich schon auf die gewohnte Kumiko-art verbeugen, aber im Hinblick auf die möglicherweise ziemlich angespannte Situation ihres Gegenübers verzichtete sie ausnahmsweise mal darauf, vor Professionalität nur so zu strotzen und zog es vor, sich völlig Kumiko-chan-untypisch, also laaaaangsaaaaam zu verbeugen, damit die Frau am anderen Ende des Türspalts auch jaaa nicht quiekend durch die Gegend hüpfte, wenn sie sich erschreckte. Naja, würde vermutlich nicht passieren, denn sie hatte ja moralischen beistand im Haus, obwohl dieser auch nicht so aussah, als wäre er in besserem körperlichem und seelischem Zustand. Dieses neue Augenpaar beäugte die drei abermals, schob sich langsam in den Vordergrund, bevor eine ziemlich große – offensichtlich männliche Hand in dem Türspalt erschien und die Haustür ein Stückchen weiter geöffnet wurde. Dadurch konnte man jetzt ganz eindeutig den Mittdreißiger sehen, der sich von diesem Haus gewiss etwas sehr viel ruhigeres versprochen hatte, als das, womit er sich jetzt herumschlagen musste. Der Fremde drückte sich förmlich an die halb geöffnete Tür, als wäre sie das einzige, was ihn davon abhalten könnte, jetzt sofort der ewigen Verdammnis anheimzufallen. Sein aussehen passte perfekt in die Erwartungen des Mädchens; sein cremefarbenes Hemd hatte tiefe Falten und auch seine erdbraune Hose sah nicht so richtig gebügelt aus – als ob sie deutlich wichtigeres zu tun hätten, oder versuchten, Sachen zu meiden, die nicht unbedingt nötig waren. Der Mann, der vermutlich Herr Kaji war, warf einen flüchtigen, hektischen Blick auf die Umgebung des Hauses, bevor er einen Schritt zurück machte und die Gruppe leise mit dünner Stimme aufforderte: »Kommt rein, aber leise!« Sein Schritt zurück sorgte dafür, dass Kumiko den Schwangerschaftsbauch der Frau von vorhin jetzt auch deutlich erkennen konnte. 'In einem Spukhaus mit zugenagelten Fenstern, einem Fackelkorridor hinter dem Haus und deutlich verängstigt, aber DAFÜR noch Zeit haben? Ich versteh die Leute jetzt schon nicht', dachte sie bei sich, als sie darauf wartete, dass ihr Senpai den ersten Schritt tat.