Als er ein wenig Abstand zu Shunsui aufgebaut hatte, wandte er sich ihm wieder zu.
Ausatmen. Wenn Shunsui genau hinschaute, konnte er ein Lächeln in Isamus Gesicht entdecken. Seinen Ursprung hatte es in einer tiefen Zufriedenheit darüber, tatsächlich einen passenden Trainingspartner gefunden zu haben. Trotz des bizarren Outfits zweifelte er nun nicht mehr an der Kraft des nächsten Schlags. Als Shunsui dann seine Körperhaltung veränderte, wusste Isamu, dass es Zeit war sich zu konzentrieren. Er kannte die Haltung, die Shunsui einnahm, nicht – wahrscheinlich war es ein Kampfstil, der ihm nicht bekannt war – aber er hatte bereits einige Duelle geführt und etliche beobachtet. Es war dieser besondere Moment des ersten Angriffs. Normalerweise stellte sich hier die Frage, wer den ersten Schritt tun würde. Man würde jede Regung des gegnerischen Körpers beobachten, um Hinweise darauf zu erhalten, wann es losgehen würde und wie man darauf reagieren konnte oder ob man selbst den ersten Schritt tat. Heute war das nicht nötig, denn die Rollen waren klar verteilt. Dennoch nutzte Isamu die wenigen Momente, die er noch hatte, um Shunsui zu beobachten. Eine solche Darbietung sah man schließlich nicht jeden Tag.
Wow. Sogar aus der Entfernung konnte Isamu genau sehen, wie Shunsui sich aufplusterte und seinen Körper in den Angriffsmodus versetzte. Es sah fast so aus, als wolle ein Monster aus der Hülle des Sachbearbeiters Shunsui ausbrechen, als dieser seine Muskeln mehr und mehr anspannte.
„Jederzeit.“, entgegnete Isamu schnell auf Shunsuis Frage, denn er machte sich fast schon ein wenig Sorgen, dass sich gleich ein Knopf von Shunsuis Hemd löste und Shunsui mit einem K.O.-Treffer zuvorkam.
Isamu kannte keine richtige Einheit für die Kürze der Zeit zwischen seinem
Go und dem Kick, der in seine Magengrube einschlug. Shunsui war so schnell, dass der Gedanke Shunsui sein
Go zu geben noch in seinem Kopf war, während Isamu sich schon weit oben in der Luft befand. Sehr weit oben. Er fühlte sich hilflos, und sofort schoss ihm Regel 32 in den Kopf, doch sie entfernte sich sehr schnell wieder, denn dann kam der Schmerz.
„Argh!“ Und was für ein Schmerz das war. Durch sein Training hatte Isamu so einiges an Schmerz bereits erlebt – Quetschungen durch einen Felsen waren auch nicht ohne – aber der Schmerz eines Angriffs war damit nicht zu vergleichen. Ein direkter, gezielter Angriff auf eine empfindliche Körperregion mit einer unglaublichen Kraft. So etwas hatte er in seinem Training nicht replizieren können. Genau dafür hatte er diesen Praxistest gebraucht.
Isamus Höhenflug dauerte eine ganze Zeit und der Schmerz von Shunsuis Attacke war sein ständiger Begleiter. Als die Flugkurve langsam wieder Richtung Boden strebte, bereitete Isamu sich auf den zweiten Einschlag vor. Der Boden wäre deutlich angenehmer, aber Isamu besaß nicht die richtigen Fähigkeiten, um den Aufprall in irgendeiner Weise effektiv abzufedern. Er hielt jetzt einiges aus, aber das war bisher auch alles. Also konzentrierte er sich einfach nur darauf auszuhalten, während er wie ein nasser Sack in den Strand einschlug und eine große Sandwolke aufwirbelte. Im Gegensatz zu Shunsuis Tritt war es tatsächlich nur vergleichbar mit dem festen Klapps eines guten Freundes. Als sich die Wolke langsam lichtete, sprach aus Isamus Gesicht jedoch nicht der Schmerz. Er hatte die Augen weit geöffnet und ein leichtes Lächeln aufgesetzt.
„Ich…“, flüsterte er leise zu sich selbst.
„…bin bei Bewusstsein!“ Das war das oberste Ziel gewesen! Tatsächlich merkte er, wie sein Körper sich bereits langsam von dem Schlag erholte. Trotz der gewaltigen Krafteinwirkung war er offensichtlich noch nicht ganz am Ende. Langsam erhob er sich vom Sandboden und brachte seinen Körper – im ersten Moment etwas wackelig – wieder auf beide Beine. Mit jeder Sekunde merkte er, wie der Schmerz ihn nicht mehr zu Boden drückte, sondern einer großen Erschöpfung wich. Damit hatte er nicht gerechnet, aber es machte ihn tatsächlich auch ein bisschen stolz.
Siehst du das, Han? Etwas langsamer als beim letzten Mal klopfte er sich wieder den Schmutz von der Kleidung, die deutlich mitgenommener aussah. Der Aufprall Shunsuis auf ihn und sein eigener Aufprall auf die Erde hatten einige Löcher zurückgelassen. Zum Glück hatte er einige Sätze seiner Trainingskleidung zuhause.
Nun war es aber wieder Zeit, Shunsui seine Aufmerksamkeit zu widmen. Er glaubte zwar, dass das Training hier vorbei war und er sich erneut auf die Suche machen musste, aber vielleicht war ja noch mehr unter dem Hemd versteckt?
„Danke Shunsui.“ Er verbeugte sich förmlich, was immer noch einigermaßen problemlos möglich war. Trotzdem verblieb er noch ein wenig in der Verbeugung, um noch ein wenig zu Kräften zu kommen.
„Du… hast nicht zufällig noch mehr zu bieten? Sonst suche ich mir jemand anderen.“ Es klang deutlich herausfordernder als es sollte, aber das war Isamu natürlich nicht klar.
@Jirokou Shunsui