Hätte sie an Akios Statt den Bereich hinter den Kulissen kontrollieren müssen, hätte sie sich vermutlich nach bereits einer halben Minute irgendwo in der Ecke zusammengerollt und darauf gewartet, dass sie jemand fand. Im Dunkel der Requisiten nahm jedes Ding gruselige und übermäßige Formen an, die durchaus zu verstören wussten, wenn man diesen Anblick nicht gewohnt war. Aber zum Glück durfte sie sich um den Logenbereich kümmern, denn obwohl sich jeder gerne für mutig und heroisch hielt: Himeko wusste sehr genau, dass sie ein kleines Angsthäschen sein konnte, und hatte es nicht besonders eilig damit, irgendjemandem das Gegenteil zu beweisen, wenn sie es nicht musste. So postierte sie sich zunächst mittels Kinobori oberhalb der obersten Logen, um sich einen Überblick zu verschaffen. Von dort aus ließen sich die anderen Logen wunderbar einsehen, solange es halbwegs hell in diesem Saal war; aber ihr fiel nichts auf. Die Logen füllten sich nur zögerlich und all jene, die sich unterhalb derjenigen befanden, die für Tetsu-san und ihre Begleitung reserviert waren, schieden für Fotografen sowieso aus. Die Brüstungen der einzelnen Logen waren blickdicht und damit völlig unbrauchbar, um gute Fotos zu schießen. Das bedeutete zwangsläufig, dass in ihrem Bereich – sofern sich die Reporter das Eintrittsgeld irgendwie aus den Rippen schneiden konnten – nur Gefahr von oben lauern konnte.
Natürlich war es auch möglich, auch Fotos von weiter unten zu schießen, aber das müsste in einem extrem flachen Winkel passieren und das fiele aufgrund der nötigen Entfernung zwangsläufig in den Aufgabenbereich ihres Partners. So konzentrierte sich ihre eigene Suche auf den oberen Bereich der gehobenen Ränge, während sich der Saal langsam verdunkelte und die Bühne ins Zentrum aller Aufmerksamkeit rückte. Zu sehen war nur noch die Kulisse, die in schwaches Licht getaucht wurde, als fern hallend die Stimme des Haupterzählers erklang, der die Umstände erläuterte, die dieses Stück behandeln sollte. Aber lag wirklich alle Aufmerksamkeit auf der spärlich beleuchteten Bühne? Nein. In einem kleinen Dorf mitten in Gallien, starrte eine Brünette, die an der Decke hing, angestrengt in die Logen, um ihrerseits zu sehen, worauf die Aufmerksamkeit in den einzelnen Logen lag. Bei den meisten konnte sie zweifelsfrei feststellen, dass sie darauf warteten, dass die ersten Kunsttränen auf der Bühne flossen, aber bei einer war sie nicht ganz sicher? Hatte die junge Frau vielleicht einen ihrer Ohrringe über das Geländer fallen lassen, oder weshalb sah sie sich suchend um? Die Erkenntnis reifte erst, als der Blick der Fremden auf ihrer Klientin einrastete und sich postwendend merklich beruhigte. Weitere Verdächtige bemerkte sie zunächst nicht, aber das musste nichts heißen.
Himeko musste handeln und schwang sich gleich im Zickzack an der rauen, im dunklen ziemlich grau aussehenden Wand entlang. So leise es ihr möglich war, näherte sie sich der Zielperson von oben und wartete auf einen Fehler. Still und bewegungslos harrte sie darauf, dass ihr Opfer einen Fehler machte. Und tatsächlich vergingen fast zehn Minuten, ehe sie eine brauchbare Information hatte: Die Hand der jungen Dame wanderte vorsichtig in die auffällig lackierte Tasche, die auf dem Sitzplatz neben ihr lag, und zog sich wieder zurück. Und sie tat dies nicht nur einmal, sondern drei- oder viermal, als müsse sie sich versichern, dass irgendwas Wichtiges noch da sei. So unangenehm es ihr war, in fremder Leute Taschen herum zu wühlen, hatte sie leider keine wirkliche Wahl, wenn nicht morgen alle Zeitungen von großformatigen Bildern der hinreißenden Tetsu-san vollgekleistert sein sollten. Dieses Charisma war viel zu schade, um es für Schmierblätter zu verschwenden – außerdem war das Verhindern dieses Ergebnisses sowieso ihre Aufgabe. So ließ Himeko sich zwischen zweien der Kontrollen hinter die Verdächtige fallen, als es gerade besonders laut auf der Bühne zuging. Sie war in der perfekten Position und doch zögerte das Mädchen: War das wirklich richtig? Sich einfach so durch die Habe nichts ahnender Menschen zu wühlen, war etwas ganz anderes, als jemanden in flagranti zu erwischen und ihm die Kamera abzunehmen – und selbst damit hatte die Brünette bereits ihre Probleme gehabt. So zögerte sie doch noch eine ganze Weile vor sich hin, ehe sie mit geschlossenen Augen in die Tasche griff und etwas Eckiges, Schweres herauszog. Im Dunklen konnte Himeko nicht genau erkennen, worum es sich handelte, aber es fühlte sich immerhin so an, als wäre eine ganze Menge Knöpfe daran, die für alle möglichen komplizierten Funktionen da waren. Doch bevor sie ertasten konnte, dass sie wirklich die Kamera erwischt hatte, deren Vorhandensein sie befürchtet hatte, erfolgte der nächste Kontrollgriff ihres Opfers. Einen Moment erstarrte Hime, ehe ihr der Gedanke kam, dass sie vielleicht besser verschwinden sollte.
So leise, wie sie schon gelandet war, heftete sie sich auch wieder an die Decke und suchte ihre erhöhte Position auf, während die junge Reporterin schockiert nach der fehlenden Kamera tastete und nach einer kurzen Weile kriechend den Boden danach absuchte. Himeko fuchtelte, wieder sicher an der Decke hängend an dem Gerät herum, bis sie den Schieberegler gefunden hatte, der die Klappe mit dem Film geschlossen hielt; diesen nahm das Mädchen heraus und verstaute die beiden Teile dann in ihrer Ausrüstungstasche – sie würde die Kamera ohne den Film später am Eingang abgeben, schließlich lag es ihr fern, einfach eine teure Kamera zu entwenden. Ihre Freude ob des Erfolges hatte sich noch nicht ganz gelegt, als es auf der Bühne heiß her ging. Der Protagonist war umringt von finsteren, verhüllten Gestalten, die vermutlich Ninjas darstellen sollten, und suchte, seine geliebte – eindeutig eine Kunoichi – vor ihnen zu schützen. Irgendwie fing dieses Schauspiel sie ein, sodass eine Katastrophe hätte entstehen können, hätte der zweite Reporter nicht beschlossen, auf die Pause zu warten, während der die Lichter wieder angeschaltet wurden und damit auch die Lichtverhältnisse brauchbarer waren.
Und was passierte vorne im Bühnen Bereich? Unter einer der Planen im Requisitenraum regte sich etwas: Yamamoto Shin, der selbst ernannte beste zukünftige Fotograf, der es eines Tages allen zeigen, und bis ganz nach oben kommen würde, trat auf den Plan! Sein heutiges Zielobjekt war die begehrte Tetsu, die als Medienscheu bekannt war und gerüchteweise heute Abend im Publikum sein sollte! Und ER(!) würde ganz sicher derjenige sein, der die besten Fotos von ihr mitbringen würde, die besten Szenen einfangen und sich absolut sicher war, dass er natürlich sowieso die aller gewagtesten Nahaufnahmen knipste! Vorsichtig ließ er die Plane hinter sich und zog schmunzelnd an den Absatzschuhen vorbei: Dies war der Abend seines großen Durchbruchs! Und nichts konnte ihn aufhalten! Wenigstens hatte der nette Herr auf der Scheinwerfertrasse auch inzwischen bemerkt, dass er wegen dem starken Kontrast dort oben absolut nichts sah und deshalb bis nach der Vorstellung warten musste.