Wie festgewurzelt. So fühlte er sich, als er, umarmt von seinem großen Bruder, an Ort und Stelle verharrte. Erst nach einigen Augenblicken der Verwunderung hob er die Arme, die zuvor noch regungslos am Körper herabhingen, und erwiderte die Geste. Als sie sich schließlich lösten, Hebi noch immer die Schultern des Jungen ergriffen hatte, blickte er ihm direkt in die Augen. Das Verwuscheln der Haare, die Frage nach dem Wohlergehen - teilweise erinnerte ihn der Ältere ja an eine seiner Tanten. Dennoch war es ihm weder äußerlich, noch innerlich unangenehm, gar ein leichtes und schwaches Lächeln konnte man seinen Lippen entnehmen, während er noch immer nicht so recht wusste, wie er reagieren sollte. Die Haare aber richtete er sich danach trotzdem.
"Ja, keine Sorge.", antwortete er mit schwacher Stimme,
"Mir geht es gut." Körperlich war das zwar gelogen, doch ein Fünkchen Wahrheit entsprang dieser Aussage tatsächlich, zumindest kurzzeitig... Shin-san, man lobe den Herrn dafür, diesen Mann auf die Welt gebracht zu haben, tat das, was er am besten tat: Einfach er selbst sein. Aus dem Augenwinkel heraus beobachtete Hisake das Geschehen, ahnte schon, dass er mit den einzigen Reaktionen, die dafür angemessen waren, im Laufe des Tages entweder seinen Nacken verspannen oder seine Stirn zertrümmern würde. Stattdessen fiel der Blick wieder auf das Mädchen, das als einzige seine Verbeugung erwiderte. Eine Höflichkeit, die in Zeiten, in denen er sich in Amegakure aufhielt, selten war, die er begrüßte und wertzuschätzen wusste. Erst musterte er ihr Gesicht, ging dann über zu... und den Blick wieder nach oben wandern lassen, nachdem sich Hisake räusperte.
Als die Szene zwischen Shin und dem Mädchen, das sich als Umiko herausstellte, schließlich beendet war, normalisierte sich die Situation keineswegs. Mit offenem Mund und fragendem Gesichtsausdruck rätselte der Mann erst einige Sekunden, musterte ausgiebig Ingvi, ehe er selbstzufrieden nickte, als ob ihm gerade ein Licht aufgegangen wäre. "Unauffällig" beugte er sich zu seinem Assistenten rüber, flüsterte, wenngleich in einem deutlich hörbaren Ton:
"Hast du die leichten Pausen und das Sprechtempo bemerkt? Ich musste erst ein wenig nachdenken, aber jetzt habe ich es verstanden: Ich glaube, er ist ein wenig langsamer..." Natürlich hatte der Chuunin gegenüber solchen Personen keine Vorurteile.
"Haaallo, Ingvi-kun." Erst winkte er selbigem zu, dann zeigte er mit dem Finger auf ihn, um ihm zu vermitteln, dass er das war.
"Mein Name... ist Shiiiiiiin Daaaaaiki.", fügte er laut und langsam redend und mit dem Finger auf sich selbst zeigend hinzu,
"Also Shin ist der Nachname... und Daiki dann dementsprechend der Vorname." Kurz beugte er sich zu Hisake rüber.
"Versteht er den Unterschied?" "Ja, Shin-san..." "Ich will nur nicht, dass er sich ausgeschlossen fühlt, weil er nicht mitkommt..." "Shin-san..." "Also, Ingvi-kun. Ich bin ein Chuunin... das ist ein Rang für Shinobi... der über deinem. Du bist Genin... ich bin Chuunin. Wenn du also beispielsweise... nicht weiterweißt... ein Problem mit deiner Aufgabe hast... oder sie nicht verstehst... oder ein anderer Ninja gemein zu dir ist... dann hab bitte keine Angst. Ich bin dein Ansprechpartner... ich kümme-" "Gut", schritt Hisake ein und schob den Chuunin zur Seite,
"Ab hier übernehme ich."
Sich vor ihn stellend, verbeugte er sich kurz, um sich stellvertretend für das Genie von einem Chuunin bei Ingvi zu entschuldigen.
"Das ist, wie bereits gesagt, Shin Daiki, leitender Chuunin der Untersuchungen im Falle des sogenannten 'Todeskünstlers' in Amegakure. Er war es, der euch angefordert hatte." Das musste reichen, hier, an diesem Ort. Kurz schaute sich der Junge um, abschließend, hier hatten sie nichts mehr zu tun.
"Wenn ihr mir bitte folgt." "Oooh, gehen wir ins-" "Shin-san." Dieser verschränkte beleidigt die Arme und schmollte mit dem Mund.
"Jaja, das kann man auch freundlicher sagen!" "Du benimmst dich, als hätte man dir den Schnuller weggenommen." "Verzeihung."
Der Weg führte sie durch die verzwickten Straßen der regnerischen Stadt, vorbei an den riesigen Gebäuden und unzähligen verzweigten Rohren, die, wenn man ihre Wege kannte, eine der besten Hilfen zur Orientierung boten. Schlussendlich kamen sie dann an, sich vor ihnen eine lange Straße mit unzähligen pechschwarzen Hochhäusern erstreckend. Eines von diesen, spezieller das dritte in der rechten Reihe, betraten sie dann schließlich. Es war unscheinbar, wirkte genauso wie jedes andere hier, doch natürlich reichte das nicht allein. Zwölf Stockwerke insgesamt, durch den Aufzug gelangten sie ins vierte, sich in diesem durch einen alten, ungenutzten Bürokomplex bewegend, dessen Eingang nur von einer einzelnen Sekretärin bewacht wurde, die die Truppe beim Sehen von Hisake und Shin passieren ließ. Schließlich fanden sie einen weiteren Aufzug mit der Aufschrift "defekt", die sie schließlich einfach ignorierten und ihn öffneten. Was hier zu den eigentlichen Stockwerken kam, war das Untergeschoss, auf dem sie im normalen Aufzug keinen Zugriff gehabt hatten. Hisake drückte den Knopf, während auch Shin seinen Finger auf etwas zuwandern ließ. Langsam näherte sich der Zeigefinger Himekos großen-... und wurde von seinem Assistenten weggeschoben. Unten angekommen, erstreckte sich ein Vorraum vor ihnen, der nicht mehr als eine metallene Tür enthielt. Neben ihr ein Feld zum Eingeben einer Zahlenkombination. Während Shin noch rätselte, kümmerte sich Hisake darum, seinen Körper so nah am Feld haltend, dass weder eine der anderen Personen, noch ein ungebetener Zuschauer etwas erkennen konnten. Dann näherte sich der Chuunin dem Guckloch in der Tür, blickte man durch es hindurch, konnte man nichts erkennen, es war reinste Tarnung. Stattdessen leuchtete es leicht auf, nachdem einige Sekunden vergangen waren; er konnte weitermachen. Die Finger seiner rechten Hand legte er auf der Tür auf, ließ Chakra aus ihnen herausströmen, dann hörte man ein Klicken.
"Chakrametall." Die Tür war geöffnet, als sie durch sie durchtraten, wurde sie wieder verschlossen. Erneut erstreckte sich ein verlassener Bürokomplex vor ihnen, doch der war nur Tarnung. Nachdem der Genin das Fingerzeichen für
Kai gebildet hatte, verschwand die Illusion und erkannte die Gruppe einen langen, breiten Raum, bestehend aus einem großen Tisch, an dem durchaus zwei Dutzend Menschen Platz gefunden hätten, hinten eine große Leinwand, die für Projektionen gedacht war. In eine Ecke hatten sie unzählige Tafeln mit Rädern unter ihnen geräumt, die man somit bewegen und hervorziehen konnte. Lediglich die vorderste konnte man erkennen, auf ihr Bilder mit mehreren grotesk verstellten Leichen angeordnet, man gewöhnte sich daran. Alle hatten gemeinsam, dass die einstigen Körperteile zu vollkommen neuen angeordnet worden waren, eventuell konnte man den neuesten Fall in dieses Raster einorden. Hisake seufzte, nicht, dass das oder die unzähligen anderen Raster, Tafeln und anderen Einordnungsversuche etwas brachten.
Bevor die beiden etwas sagten, betastete Hisake die Mäntel und Kleidungsstücke der Garderobe, die sich neben ihnen befand, ließ seine Hände in Taschen und das Innere wandern, dann überprüfte er die Schuhe. Shin kümmerte sich derweil um den langen Tisch, spezieller um das, was sich unter ihm befand. Als der Genin fertig war, half er seinem Vorgesetzten und musterte die Stühle. Schließlich auch die Tafeln, die er dabei verrückte und den Genin somit einen gewissen Einblick auf weitere Opfer des Mörders bot, und sie waren fertig.
"Es bewirkt mehr, als nur das Aussehen zu verändern.", kommentierte der Junge nach einer nunmehr gefühlten Ewigkeit sein Genjutsu,
"Wer in ihm gefangen ist, kommt nie wieder raus, irrt auf ewig durch die Gänge eines scheinbar verlassenen Bürokomplexes." Seine Kreation. Schlicht, aber effektiv, wie er fand.
"Ich arbeite inzwischen schon anderthalb Jahre an diesem Fall" Sprach das für oder nicht viel eher gegen seine Erfahrung? Nun ja, sie mussten weitermachen, es blieb keine Zeit, die sie verschwenden konnten.
"Shin-san hatte euch angefordert, damit ihr uns unterstützt. Die Fälle häufen sich, die Arbeit mehrt sich, unsere eigenen Anzahl... nun ja." "Schwindet." "Ja... Es wird wie folgt ablaufen: Wir werden den Bekanntenkreis um das tote Paar näher inspizieren. Mit dem ungefähren Tatzeitpunkt wird uns das im Optimalfall zum Ort führen, an dem sie voraussichtlich entführt oder angegriffen wurden. Außerdem müssen wir herausfinden, wie ihnen das Fleisch von den Knochen entfernt wurde. Wurden die richtigen, seltenen Mittel genutzt, gibt es nicht viele Orte, an denen man diese auftreiben könnte. Doch;" Er schüttelte den Kopf.
"Es wäre ein Wunschtraum, zu glauben, dass genau das eintreten wird. Ihr habt vielleicht Ideen, wie der Mord geschehen sein mag, aber lasst euch bitte nicht zu stark von diesen leiten."
Gerade wollte er weitersprechen, als sich die Tür vor ihnen zu öffnen begann. Shin ließ eine Hand unter seinen Mantel wandern, umfasste mit ihr ein Kunai, Hisake tat das Gleiche. Angespannt blickten sie der Tür entgegen, ehe eine dünne Gestalt den Raum betrat. Das Zeichen von Amegakure auf seiner Stirn tragend, das Gesicht von einer Atemmaske eingehüllt, wenngleich man die smaragdgrünen Augen erkennen konnte, dazu die graue Weste und gleichfarbe Hosen sowie Sandalen. Ein paar Jahre älter als Hebi, er war in etwa 20. Aufatmen bei den beiden Shinobi, tatsächlich sackte der Genin gar erschöpft auf einem Stuhl zusammen. Der Neuankömmling übergab Shin wortlos einen Zettel, den dieser ohne Zögern vorlies:
Zum Suchen sie erkoren
Ach, fänden sie das Gut
So einsam und verloren
Ausgesetzt dem Jäger
Der Würd' des Zieles Träger
Seiner Gnade oder Wut?
...Ausdruckslos blieb Hisake auf seinem Stuhl sitzen, blickte zu Boden und drückte seine Finger aneinander.
"Yusei-kun... Wo hast du das gefunden?"
"Am Tatort."
"Ingvi-kun... Umiko-chan... und das andere Mädchen. Nimm sie mit in die Kanalisation..."
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Geschrieben von Yamasaru Souta