Sogar für den Nakamura selbst war es irgendwie erstaunlich gewesen, wie schnell er sich gefangen hatte. Grade wenn es ruhig wurde und dem Jungen bewusst wurde, wie gefährlich eine Situation tatsächlich war, bekam er Panikattacken. Ja, er stand ziemlich kurz vor einem Nervenzusammenbruch und jeder wusste wohl, dass dieser leichter auszulösen war als man denken könnte, aber wer Angst vor Blicken hatte, konnte ja auch nur eine labile Psyche haben, oder? Dennoch war der Nakamura einfach aufgestanden und gefolgt, als sein Teamleiter losgelaufen war. Ohne das Gesicht zu verziehen oder zu jammern. Momentan bewegte der Junge sich auf einem äußerst dünnem Eis, was bedeutete, dass seine Stimmung noch anfälliger für jegliche Schwankungen war. Wie sollte es auch anders sein? Immerhin hatten alle vier Genin grade eine Nahtoderfahrung, auch wenn es wohl nicht jedem so bewusst war, wie dem Nakamura. Vielleicht war es ihm auch besonders sehr in den Verstand eingebrannt, weil es an ihm gelegen hatte diese scheinbar undurchdringbare Tür zu öffnen…
Er war recht erleichtert, als er hörte, dass es allen gut ging. Was diese Durchsage zuvor zu bedeuten hatte, wusste er immer noch nicht, aber das war schon so gut wie vergessen. Alles ließ er hinter sich und lief einfach geradeaus. Seine Beine waren wackelig und sein Bauch schmerzte ganz schrecklich, was nicht nur an seiner Nervosität, sondern auch an Nanami lag, auch wenn sie nichts dafür konnte. Trotzdem lief Moritaka fast schon mit einem richtig leeren Blick seinem Teamleiter nach und starrte auf die Wände, während er sich hin und wieder einmal fragte, wie er es überhaupt noch schaffte zu stehen und sich dabei noch ansatzweise zu konzentrieren. Immerhin nahm er wahr was um ihn herum passierte und vor allem dieses unangenehme Geräusch war noch immer nicht aus seinem Kopf verschwunden. Hatte es denn sonst keiner bemerkt? In dem Moment als er sich das fragte, antwortete Jun aber auch schon. Die Antwort war ziemlich ernüchternd und brachte den Nakamura in große Verlegenheit. Hatte er sich das wirklich nur eingebildet? Wenn nicht, dann war es aber definitiv nicht das, was Jun vermutete, denn dafür war das Geräusch zu dumpf. Paranoia machte sich in ihm breit. Wurde er irre? War schon ziemlich naheliegend, aber das machte seinen Gemütszustand nicht besser. Verlegen lächelte er, während sein Kopf rotanlief und er erklärte: „E-Eh ja… Du hast s-sicher Recht…“ Allerdings drehte sich bei dieser heuchlerischen Antwort sein Magen um. Er war sich nicht sicher, ob es überhaupt real gewesen war und so lang er sich dem nicht sicher war, wollte er niemanden verunsichern. „Das war kein Wasser. Ganz bestimmt nicht…“, schoss es ihm immer wieder unwiderruflich durch den Kopf, fast so wie eine Stimme, die ihm einfach keine Ruhe ließ. Die letzte Antwort des Jungen zeigte mal wieder den, für Moritaka unverständlichen, Galgenhumor des Ryuugu. Sicher, ein bisschen Kämpfen ist ja eine riesen Hürde für Shinobi, im Vergleich zu unzähligen Nahtoderfahrungen, Drohen des Erstickungstodes oder fast schon dem Gevatter Tod, der seine knochigen Hände auf ihre Schultern legte… Moritaka würde sich grade definitiv lieber rumprügeln, darauf war er in der Akademie wenigstens vorbereitet worden!
Und nun folgte die nächste kleine Attraktion: Der Informationsstand. Wie makaber das alles hier doch war. Sie drohten jede Sekunde zu ertrinken und alles, was sich hier bot, war ein Happy-Day Szenario mit Sand und Palmen. Mori war grad danach mal ordentlich in den Infostand zu kotzen. Immerhin kein Wasser, denn sonst hätte er wirklich brechen müssen. Außerdem schien dies hier eine Snackbar zu sein… Woran erkennt man, dass Moritaka an seinem Limit ist? Richtig, er will keine Süßigkeiten. Für einen Moment funkelten die blauen Augen den Süßkram an, doch dann musste er sich an eine der Wände lehnen, weil ein, deutlich hörbares, gequältes Geräusch aus seiner Magengegend hervordrang. Zwar versuchte er seinen Schmerz zu verbergen, doch er hielt sich schon etwas den Bauch und verzog das Gesicht. Nein, grade war ihm wirklich nicht nach Essen, nicht mal nach Süßigkeiten. Seine Nerven waren zu angespannt… Dass grade Atsui so losstürmte, zeigte auch wieder, dass auch der Junge richtig Mumm in den Knochen hatte. Während Moritaka noch immer nicht die letzte Situation verwunden hatte, waren die Jungs schon absolut unterwegs und bei der Sache. Mori war sich noch nicht sicher, ob er sich auf den Boden werfen und vor Schmerz krümmen sollte… Während Jun Essen in sich reinstopfte – Wie konnte man nur so unglaublich gelassen sein?! – entdeckte also nun Atsui eine Karte. Moritaka beobachtete alles aus der Ferne, da er sich noch immer anlehnen musste. Er versuchte sich, so gut er nur konnte, von seinen Sorgen und Schmerzen nicht wirklich etwas anmerken zu lassen, aber dass er abseits stand, fiel sicher schon auf. Und noch einmal bildete er sich ein Geräusch ein, was er aber auf den in Tüten badenden Atsui schob. Nun begutachteten also Jun und Atsui die gefundene Karte, aber die Skepsis in ihren Gesichtern machte schnell klar, dass das eine Sackgasse war. Irgendwie schämte er sich grade total, dass er sich nicht beteiligen konnte. Aber er war sich sicher, dass sie alle ihre Aussetzer haben würden… Ohje, hoffentlich sah es nun nicht so aus, als hätte er sich von dem Sturz verletzt, sonst machte er den anderen sicher unnötig irgendwelche Sorgen…
Grade als er sich darüber den Kopf zerbrach, rief Nanami plötzlich etwas herein, was seine Aufmerksamkeit nicht nur aufgrund von Schmerz weckte, sondern auch Interesse. Verdammt, wieso machte ihm das grade so zu schaffen? Sie tat ihm doch gar nichts! Egal, Konzentration! Der Nakamura zwang sich ein unsicheres Lächeln auf die Lippen und lief zu dem Wegweiser… und von einer Sekunde auf die andere war er wieder souverän wie zuvor. Aufmerksam prägte er sich den Plan ein und suchte in einer der trockenen Taschen nach Papier, das er für eine schnelle Zeichnung verwenden konnte. Vielleicht war es nicht schlecht so eine kleine Skizze des Wegweisers zu haben, nur falls den anderen etwas passierte, oder man sich nicht mehr zurecht fand. Neugierig verglich der Junge den Plan mit dem Aufbau des Gebäudes. Jedoch konnte er sich nicht allzu viele Gedanken machen, da ihn schon allein die Namen der Gebiete auf die Probe stellten. Qualle… Klang gefährlich und irgendwie eklig… Moritaka war sich jetzt schon sicher, dass das nicht der Ort war, an den er gehen wollte. Ruinenlabyrinth? Labyrinth bedeutet immer Verirren, Durcheinander, Panik: Nicht der Ort, der für einen psychisch labilen Jungen geeignet war. Delphinschule? Hm… Dort waren vielleicht Kinder, ein wichtiger Punkt, da war Mori sich recht sicher. Aussichtsplattform… Einen solchen Ort würde er später anpeilen, da er davon ausging, dass das eher der letzte Ausweg war bei einer Katastrophe… Dem folgten noch die Krankenstation und die Verwaltung. Zweiteres war zwar relevant, aber Moritaka ging davon aus, dass Menschen, bei einer solchen Situation, in den Krankenstation endeten. Er hoffte, dass man den Menschen dort helfen konnte!
Nachdem er eine Weile gebannt auf den Wegweiser gestarrt und sich viele Gedanken gemacht hatte, meldete sich wieder Jun zu Wort. Aufteilen klang plausibel und dass er mit Nanami gehen wollte, war eine Tatsache, für die Moritaka Gott danken sollte. Nicht dass er etwas gegen sie hatte, aber mit ihr allein, wäre sein ohnehin angespanntes Nervenkostüm noch mehr zum Drahtseilakt mutiert. Allerdings fiel da ein Wort, welches Moritaka einen kalten Schauer über den Rücken laufen ließ. „P-Pärchen?“, stellte er entsetzt in Gedanken fest. Und ja, genau solche Worte waren es, die ihn völlig aus dem Konzept brachten. Pärchen… Das bedeutete, dass Jun und Nanami als „Pärchen“ also auch Moritaka und Atsui als „Pärchen“ gleichgestellt waren. Pärchen bedeutete doch im Normalfall die Verniedlichung von Paaren, welche man eher auf Liebesbeziehungen bezieht, oder?! Also, ob da nun was zwischen Nanami und Jun lief, war in dem Punkt vollkommen irrelevant: Es war der Gedanke, dass man diese Beziehung ähnlich auf Moritaka und Atsui projektieren könnte? Wie konnte es passieren, dass man so etwas von ihm dachte? War es möglich, dass Moritaka etwas tat, das dies als Schlussfolgerung hatte? Ihm wurde schlecht. Er wusste gar nicht, ob er zuerst knallrot oder kotzgrün anlaufen sollte. Doch dann kam ein einziger Satz, welcher die Luft abließ, zumindest für den Moment. Moritaka übernahm die Führung, und das bedeutete einen Moritaka, der sich wesentlich mehr auf das Geschehen konzentrieren musste, weswegen er krampfhaft versuchte seine Sorgen herunterzuschlucken. Auch wenn das Wort Pärchen wie ein Kloß in seinem Hals hang, der ihn zu erwürgen versuchte… In Wirklichkeit hatte Jun so etwas sicher nicht mal gemeint oder nur seinen Humor raushängen lassen, aber solche Dinge waren Gift für den Nakamura, auch wenn man ihm das nicht ansehen konnte. Er war ja auch sonst ein Wrack … Hastig schluckte er und nickte dem Ryuugu zu, ohne ihn anzusehen natürlich. „Hai, schaff ich.“, sagte er erstaunlich sicher und ohne auch nur ansatzweise zu stottern. Mal sehen wie lang das diesmal halten würde… Was Jun nun mit Nanami machte, wurde schon fast halb ausgeblendet. Wenn etwas war, würden sie sich sicher per Headset melden. Dass sie zur Qualle, was Moritaka am ekligsten fand, gingen, bemerkte er allerdings und nickte aufmerksam. Als er sagte, dass er dem Nakamura die Wahl und das Steuer nun überließ, zeigte sich ein ernster Ausdruck in seinem Gesicht. „Alles klar Jun, wird schon schief gehen.“, sagte er knapp und damit war die Sache für ihn gegessen. Sehr sicher ging er auf Atsui zu und siehe da, für einen kurzen Moment, vielleicht sogar wenige Sekunden, suchte der Junge sogar Augenkontakt. „Also, ich hoffe du bist nicht böse, wenn ich nun einfach entscheide, aber ich habe die Möglichkeiten schon ausführlich abgewogen und halte es für wichtig, dass wir uns so schnell wie möglich zur Krankenstation begeben. Ich denke, dass dies einer der Orte ist, den die Leute am ehesten ansteuern bei einer Katastrophe, außerdem ist es bedeutsam danach zu sehen, ob es Verletzte gibt, wenn ja wie viele, denn wir wollen die Umstände ja klären, damit wir alle hier irgendwie rauskriegen.“ Erstaunlich dass er das so sicher sagen konnte, obwohl er sich nicht mal sicher war hier selbst lebend wieder rauszukommen, aber das wurde nun mal wieder ausgeblendet. „Falls unerwarteterweise Kampfsituationen auftreten und es sich nur um Zivilisten handelt, kann ich die mit Genjutsu absolut schmerzfrei beruhigen. Also müssen wir uns darüber keine Gedanken machen.“ Erneut versicherte er sich, dass Atsui bereit war und lief los in den Gang, welcher sie zum nächsten Ort führen sollte: Der Krankenstation.
Aber schon auf den Gängen wurde Moritaka wieder unsicherer. Seine Bauchschmerzen waren immerhin schon etwas weniger geworden, aber die Konfrontation mit Tod und Leid war immer noch sehr schwer zu handhaben für den großen Jungen. Und auch seine Ängste machten ihm das Leben nicht leichter. Während er so durch die Gänge ging, warf er immer wieder einen Blick zu Atsui, flüchtig, da er deutlich nervös war. Auch wenn es momentan besser war, wusste er, dass seine Laune sehr schnell wieder umkehren konnte. Schon allein das Wort Pärchen hatte ihn ja so aus der Fassung gebracht… Aber wollte er Atsui das wirklich sagen? Was wenn er sich auf die Sicherheit der Nakamura verließ? Egal, wenn er zusammenbrach und Panikzustände bekam, war er keine gute Hilfe mehr für Atsui… Ohne sich umzudrehen, begann er zu sprechen. So musste er nicht stottern und es kam einigermaßen sicher rüber… „Atsui-san? Ich sollte dich vor einer Sache warnen… Meine Nerven sind aufgrund meiner Ängste oft sehr angespannt und momentan, kannst du dir sicher vorstellen, ist die Situation sehr grenzwertig. Noch habe ich alles sehr gut im Griff, aber gemäß dem Fall, dass ich eine Panikattacke oder einen Aussetzer bekomme, brauche ich möglicherweise deine Hilfe. Sollte ich, aus welchem Grund auch immer, selbst nicht dazu in der Lage sein, musst du mir ein Täschchen aus der Hosentasche ziehen und es mir in die Hand drücken. Was ich damit anfangen muss, weiß ich in jedem Fall… Mach dir keine Gedanken, sobald ich das habe, ist die Gefahr definitiv gebannt.“ Er wollte ihm nicht unbedingt unter die Nase reiben, dass er sich dann unter Drogen setzte und vor allem nicht sagen, wie lang diese anhielten, deswegen ließ er das einfach offen, für den Fall dass er danach fragte. Verheimlichte würde er nichts, das hatte er noch nie getan, aber es reichte eigentlich, wenn er wusste, dass er das für ihn tun musste. Sein Herz raste grade echt extrem und er musste sogar seine Hand auf die Brust legen und durchatmen, um sich etwas zu beruhigen. „Unglaublich, dass du so ruhig bleiben kannst…“, brachte er leise hervor und es war ganz klar, dass er den Najikama damit meinte. Natürlich wusste er nicht, dass auch dieser ein Wrack war. Eigentlich waren sie beide dem Untergang geweiht! Wie es wohl wäre, wenn er das wüsste? Hätte er dann noch mehr Panik oder sogar eine Art Beschützerinstinkt, der dann ihn ihm geweckt wurde? Man müsste es wohl drauf ankommen lassen, um das zu sehen. In seiner Angst war der Nakamura sehr blind, das konnte man sicher sagen… Zumindest was seine Mitmenschen anging.
Der lange Gang führte sie letztendlich zur Türe der Krankenstation, deren Tür der Nakamura einfach so, ohne darüber nachzudenken, öffnete. Dahinter verbarg sich ein leuchtend heller Raum. Alles absolut steril und technisch Topp. Man kam sich fast wieder vor wie in Soragakure. Grade als der Nakamura einen Schritt durch die Tür setzen wollte, hörte er das Geräusch erneut. Nervös blickte er sich um und sah diesmal erschrocken zu Atsui: „Hast du es gehört? Dieses Geräusch?“ So langsam zweifelte er wirklich an seinem Verstand. Vielleicht hatte Atsui es ja wirklich gehört? Dieses dumpfe, unangenehme Geräusch… Er schluckte und versuchte sich wieder zu konzentrieren, auch wenn er sich nun wirklich für absolut paranoid hielt. Er musste es doch gehört haben, oder?! Noch einmal musterte er den Raum und entdeckte allerlei medizinische Geräte, Liegen, Arzneischränke… Hier gab es wirklich alles, auch wenn Moritaka davon absolut gar keine Ahnung hatte, war er sicher, dass es nicht mal bei seinem Arzt so aussah. Er mochte solche Räume nicht, die waren so unglaublich hell, steril und irgendwie gruselig, oder? Es war auch so unglaublich ruhig hier. Fast war Moritaka enttäuscht, dass keiner hier war… Auch in der Station hörte er das Geräusch nochmal und schluckte. Immer wieder, wenn auch leiser werdend. Es machte ihm grad wirklich zu schaffen… Und brachte ihn immer wieder raus! „Hm…“ Am Ende des Raums war noch eine massive Tür. Wohin es dort wohl ging? Das war nicht auf dem Wegweiser, wenn er sich recht erinnerte… „Sehen wir uns erst mal um, okay? Siehst du irgendwas Relevantes? Irgendwie hatte ich auf mehr gehofft… Ich schau mir mal die Tür an…“ Noch während er dies sagte, ging er los… Und dieses Geräusch ließ seine Gedanken einfach nicht mehr los…