„Ach, Yasu-chan, wie könnte eine Begegnung mit dir als Reinfall gezählt werden?“ Hätte Ingvi die entsprechende Mimik hinbekommen, so hätte dieser Satz wohl wirklich nett wirken können. So allerdings war es viel zu unglaubwürdig, als dass auch nur die gute Absicht anerkannt werden könnte, so nett die Worte auch gewählt waren. Die Antwort auf ihre nächste Frage war immerhin ehrlich: „Eine Notwendigkeit? Ich bitte dich. Ich brauche dieses Buch nicht, um mit anderen zu sprechen... Es ist einzig und allein eine kleine Hilfe, um nett auf andere zu wirken. Du weißt, dass ich in diesem Punkt noch nicht sonderlich gut bin, aber ich gebe mein bestes...“ Schwang in seinem schneidend kalten Ton etwa eine Spur Trauer mit? Durchaus möglich, Ingvi hasste kaum etwas mehr, als seine eigenen Schwächen gestehen zu müssen, auch wenn es nun nicht unbedingt die auf dem Bereich der sozialen Kontakte waren, die ihm etwas ausmachten. Es war ja nicht so, dass er soziale Kontakte wollte. Menschen, die keinen Zweck für ihn erfüllen konnten, waren ihm im Allgemeinen ziemlich egal, und auch diese bedeuteten ihm nicht viel. Er war sehr froh darüber, das tägliche Abendessen mit seiner Mutter schweigend einnehmen zu können, sie konnte ihn glücklicherweise nicht nach seinem Tag fragen oder solch einen Kram machen, wie ihn Mütter angeblich taten. Der junge Rutako war eher der schweigsame Typ und entsprechend war es ihm lieber, seine Zeit auch mit schweigsamen Leuten zu verbringen, wenn er schon mit jemandem zusammen sein musste. Es war ziemliches Glück, dass Yasu, wenn auch etwas aufdringlich, im Großen und Ganzen ziemlich ruhig war, von allen Leuten, auf die man hier hätte treffen können, war sie wohl so ziemlich die beste Option. „Weißt du was? Ich kann es dir gerne zeigen. Ich werde den Rest dieser Konversation ohne das hier...“, erneut tippte er auf das Buch, „führen, und du sagst mir dann, was dir lieber ist.“ Damit schob er es wieder zurück in seine Jacke. Dass sie sich etwas über ihn aufgeschrieben hatte, war ihm nicht entgangen, doch das stand ihr frei. Was interessierte es ihn? Wenn sie so ruhig dabei war und ihn so wenig störte, dann konnte sie alles tun, was sie wollte. Einen Moment lang fixierte Ingvis Blick das Mädchen und er dachte nach, schüttelte dann aber den Kopf, der Gedanke, welcher sich ihm gerade geboten hatte, war viel zu abwegig. Egal, wie ruhig dieses Mädchen war, er wollte niemanden dauerhaft um sich haben, jemanden in seine Gedanken einzuweihen war schon gar keine Option! Egal, wie ähnlich diese Person wirkte...
Ihre nächste Frage war etwas schwieriger, aber selbst wenn es noch aufgeschlagen vor ihm gelegen hätte, hätte Ingvi keinen Blick in sein Notizbuch geworfen, stattdessen sah er ihr direkt in die Augen. Keine Veränderung konnte man an ihm beobachten, er war weder wärmer, noch kälter geworden als zuvor, blickte sie einfach nur an. Kalt, abschätzend, mit einem gewissen oberflächlichen Interesse. Auf solche Fragen hatte er natürlich keine Antworten aufgeschrieben, in dem Buch standen nur die notwendigsten Begrüßungen und Höflichkeitsfloskeln, außerdem eine kleine Auswahl an Spitznamen, die man selbst bei Leuten, die man kaum kannte, als ungefährlich einstufen konnte, auch wenn er letztere nie verwenden würde. Hier und da waren auch noch ein paar Sätze zu etwas persönlicheren und außergewöhnlicheren Situationen, Wort-für-Wort-Anleitungen hatte er aber nur für Begrüßung und Abschied. Eine solche Frage wurde nicht einmal ansatzweise angeschnitten. „Nicht wirklich. Auch wenn die Wartezeiten hier recht unerträglich sind... es ist ein ruhiger Ort, ganz angenehme Atmosphäre, wenn man vor allen anderen hier ist. Außerdem bist du nun wirklich eine der besten Möglichkeiten, wenn man alle Leute bedenkt, auf die ich hätte treffen können... So ziemlich die beste, würde ich sagen.“ Ingvi sprach mit vollstem Ernst, es war immer etwas langweiliger, die Wahrheit zu sagen, aber es ersparte die Mühe, sich eine schlechte Ausrede auszudenken. Wie auf Stichwort kam nun auch endlich die Kellnerin und brachte ihm eine Schüssel Nudeln, kurz bevor die große Glastüre, welche den Eingang darstellte, aufschwang und zwei Leute hereinkamen, jung, aber ein ganzes Stück älter als die beiden Shinobi. Sie schafften es gerade Mal, Ingvis Sicht peripher zu tangieren, doch anhand der Stimmen konnte er schnell erkennen, dass es sich hier um zwei Angehörige verschiedener Geschlechter handelte, welche die etwas romantischere Form einer Freundschaft führten, die früher oder später nur in Streit und eventuell einer unfairen Teilung der Güter enden konnte, soll heißen: ein Pärchen. Ein Pärchen, das etwas zu laut sprach, was Ingvis nicht vorhandenes Lächeln etwas härter werden ließ, weshalb er sich nun doch lieber seinen Nudeln zu wandte. Nach einem Bissen lehnte er sich nachdenklich zurück, kaute ein wenig und schluckte es herunter, ehe er sich mit einem leisen „Ungenießbar...“ die nächste Gabel voll des Essens zu sich nahm. Dann blickte er wieder Yasu an. „Also, eines kann ich ehrlich sagen: Du bist für mich wirklich kein Grund, einen Ort zu meiden.“