Natürlich waren diese ominösen Wurzeln schwer zu finden, und natürlich konnte man sie nur in der Nacht abernten. Das war also des Rätsels Lösung. Prima, wo man doch in der Nacht so schrecklich viel sah, kein Wunder also, dass diese Wurzel so teuer war; man verbrachte einfach zuviel Zeit mit Suchen. Aber irgendwo hatte sie diese Beschreibung von Blüten schon mal gelesen. Wahrscheinlich handelte es sich dabei um irgendein Märchen, wo der Hauptheld der Geschichte nur gerettet werden konnte, wenn die Prinzessin bis Mitternacht eine rote Blume mit grünen Stacheln fand und ihm verabreichte. Wie gut, dass keine dieser Prinzessinen farbenblind war …
Die Kunoichi wurde jäh aus ihren Gedanken gerissen, als sich Ryoichi artig bedankte und sodann nach Hause stob. Auch Kayros empfahl sich, ließ es sich aber natürlich nicht nehmen, vorher noch einen blöden Spruch abzulassen, über den sich das Mädchen mehr ärgerte, als es eigentlich gesund war. Date. Das klang irgendwie … blöd. Wer hatte eigentlich festgelegt, eine Verabredung, bei der es lediglich darum ging, sich ein bisschen besser kennenzulernen, mit einem derart einsilbigen und hässlich klingendem Wort zu versehen? Und überhaupt, die Sache wurde gerade schwierig. Sie war dank Kayros vollkommen mit Mehl bedeckt und gerade in der jetzigen Lage wollte sie es nicht sein. Überhaupt machte die Kunoichi gerade Bekanntschaft mit dem Zustand der Unsicherheit, den sie um jeden Preis und mit pochendem Herzen zu kaschieren gedachte.
„Ich entbinde dich von deiner Einladung. Nützt jetzt ohnehin nichts mehr, fürchte ich.“ Die Untermalung dieser Aussage bestand in einem kurzen Versuch des Mehlabklopfens an Koyakus Schulter – vergeblich, wie man an dieser Stelle erwähnen sollte, was sich in einem gelinden Ausdruck der Frustration auf Junkos Gesicht widerspiegelte. Es war allerdings anhand Tonlage und Mimik auch deutlich, dass ihr vergeblicher Versuch der Reinigung nicht der einzige Anlass zur Frustration war. „Außerdem möchtest du sicher nicht, dass die Klatschtante da hinten Dinge über dich verbreitet, mit denen du möglicherweise gar nicht einverstanden bist.“
Prima Junko. Lästere ruhig über Kayros, wo du JETZT die einmalige Gelegenheit hast, noch ein Treffen auszumachen. Was könnte er denn an Freizeitbeschäftigungen favorisieren? Mathematik, hat er gesagt. Er hat bestimmt gute Noten mit nach Hause gebracht. Möglicherweise sind seine Eltern deswegen sehr stolz auf ihn … hm, dann fällt alles in der Kategorie „Unfug“ schon mal weg. Mathematik - Logik ist eine Religion, sagt man.
„Du siehst wie ein Schachspieler aus.“ Merkte das Mädchen stirnrunzelnd an, während sich die innere Stimme vor die Stirn klatschte. Natürlich, SCHACH! Was kommt als nächstes? Briefmarkensammlung? Taschenspielertricks? Das hast du alles schon mal gelesen und dich köstlich amüsiert.
„Lass uns bei Gelegenheit mal eine Runde Schach spielen.“ Dun Dun DUN „Wir sehen uns nachher.“ Und schon drehte sich das Mädchen davon, ehe ihr das Blut in den Kopf schoss. Schach! Manchmal zweifle ich an meinem Verstand. Ich fass es immer noch nicht …
Ein ausgiebiges Bad später stellte die Kunoichi fest, dass sie anscheinend immer noch sehr durcheinander war. Es gelang ihr einfach nicht, die Nase in ein Buch zu stecken, ohne an den Abend denken zu müssen. Auch der Versuch einer Konzentrationsübung schlug fehl, sodass es dem Mädchen fast schon gelegen kam, als letztendlich zum Abendbrot gerufen wurde. Der Stiefvater war anwesend, die Mutter war gerade von der Arbeit nach Hause gekommen, also war es anscheinend mal wieder Zeit, Familie zu spielen – oder so etwas Ähnliches.
Am Tisch herrschte nämlich von Seiten der drei Kinder peinliches Schweigen, während sich Frau Mameha und ihr neue Lebensabschnittsgefährte in Smalltalk übten. Sie redeten über das Wetter, dann über die Nachbarn, zum Schluss einmal über die Arbeit, während Junko und ihre Geschwister nur hastig ihre Mahlzeit zu sich nahmen. Die Kunoichi wollte gerade aufstehen, als ihre Mutter sie mit ungewöhnlich ernster Stimme ansprach.
„Junko, ich hatte übrigens heute Post. Sag’ mal, du hast doch gesagt, die Geninprüfung wäre ‚komisch’ gelaufen. In dem Brief stand aber, dass du offiziell bestanden hast.“
Uh. Nicht jetzt.
„Wann lässt du mich eigentlich an deinem Leben teilhaben?“
Die Kunoichi reagierte wie eine patzige Tochter, ohne jedoch an Subtilität einzubüßen, was ihm Klartext hieß, dass sie zur Flunkerei griff, um dieses Gespräch mit ihrer Mutter nicht führen zu müssen … es bestand einfach die Gefahr, dass es sich zum ersten wirklich ernsten Mutter-Tochter-Gespräch entwickelte.
„Ich bin Genin? Oh, so eine Überraschung. Das … muss ich erstmal verarbeiten. Ich geh dann schlafen, gute Nacht!“ Auf dem Absatz drehte sich das Mädchen um und huschte so rasch wie möglich in das eigene Zimmer, nur um sogleich die Tür zu verriegeln.
„Uh … ich bin Genin. Jetzt ist es offiziell. Es war vor zwei Tagen schon beschlossene Sache, aber irgendwie war mit nicht danach, Mama davon zu erzählen. Ob ich heute Nacht dieses Stirnband einweihen sollte? Nein, besser nicht. Und was würde sie sagen, wenn ich ihr erzählen würde, dass ich heute Nacht mit drei Jungs Wurzeln suchen gehe? Nichts da, nichts werde ich ihr erzählen.
Gedacht, getan, nach entsprechender Vorbereitung in Sachen Kleidung und Ausrüstung stellte Junko fest, dass es ihr nach der Abendbrotgeschichte nicht möglich war, das Elternhaus durch die Tür zu verlassen. Nun gut, dann musste sie halt durch das Fenster klettern. Eine abenteuerliche Art, das Haus zu verlassen, sehr wahr, aber es war ja nicht so, dass Junko keine Übung darin hatte, sich heimlich fortzuschleichen. Das Fenster wurde angelehnt, das Drahtgestell, welches eigentlich als Kletterhilfe für Ranken dienen sollte, wurde einmal mehr zweckentfremdet und schon war Junko frei – wer hätte gedacht, dass ausgerechnet diese Regelfanatikerin sich des Abends von Zuhause fortschlich? Die Nachbarin, die gerade die Fenster schloss, staunte auf jeden Fall nicht schlecht.
Ergo schlug Junko relativ pünktlich auf – gerade rechtzeitig, um Ryoichis Turnereien live und in Farbe mitzubekommen, ebenso wie Kayros' fröhliche Begrüßung. Den aufmerksamen Genin mochte übrigens der Gedanke kommen, dass sich das Mädchen nicht ganz mit dem elterlichen Segen an der Suche beteiligte; wenn man nämlich genau hinschaute, konnte er an ihren Händen Abschürfungen entdecken, die man sich im Allgemeinen nur von Kletterpartien wie der eben beschriebenen zuzog. Aber … war dieses ernste Mädchen wirklich zu so etwas in der Lage? Das blieb den beiden überlassen, was sie davon dachten, Junko ihrerseits wünschte nur einen höflichen guten Abend.
Edit: Ich mache die ganze Sache mal einfacher. Jetzt sind es wirklich vier Genin. SO!