Hyuuga Mari
Chuunin
Mission (A-Rang): Haoken, das Schwert der Könige
„Wir sind da.“
Der Mann zog an den Zügeln und die knarzende Kutsche kam abrupt zum Stehen. Die Pferde schnaubten, senkten die Köpfe und sahen sich verstohlen um. Sie schienen die Gegend bereits zu kennen. Er hob die Hand, deutete auf den asphaltierten Weg, der von der Straße abbog. Ein Schild am Straßenrand deutete ebenfalls in diese Richtung – in Großbuchstaben stand dort ein Name, der den Anwesenden gut bekannt sein sollte: Toshi no Kokka.
Der Mann strich sich nachdenklich über den hellen Bart, rückte auf dem Sitz herum und sah zu, wie der junge Mann und die junge Frau, die er hergefahren hatte, sich erhoben und von der Kutsche abstiegen. Seine Stirn legte sich in Falten. „Ich kann euch nicht näher heranbringen. Doch wenn ihr dem Weg folgt, seid ihr in einer halben Stunde da.“ Die Frau mit den faszinierend weißen Augen zog einen edel aussehenden Geldbeutel aus ihrer Tasche. Sie hielt ihm wortlos das Geld entgegen, das zu Beginn der Fahrt ausgehandelt worden war. Der Mann zögerte. „Seid ihr sicher, dass ihr dorthin gehen wollt? Toshi no Kokka ist nicht mehr der Ort von einst, seit der letzte König verstorben ist. Die Situation ist… angespannt. Ohne guten Grund werdet ihr kaum durch die Stadttore kommen.“ Er hatte diese beiden jungen Menschen bereits bei Beginn der Fahrt für verrückt erklärt. Derzeit ging niemand, der es nicht unbedingt musste, nach Toshi no Kokka. Händlerinnen und Händler mieden den Ort, der einst als blühende Handelsmetropole bekannt gewesen war. Und auch der Touristenstrom war seit den ersten Kampfhandlungen in der Stadt abgeebbt. Er selbst hatte die Stadt seit über zwei Monaten nicht mehr betreten. Das sanfte Lächeln, das die braunhaarige Frau ihm auf seine Frage hin schenkte, überraschte ihn. Es wirkte unbesorgt, leicht – sie musste unheimlich naiv sein. „Wir sind hier, um die Situation in Toshi no Kokka zu beruhigen.“ Unweigerlich glitt der Blick des Mannes hinab auf das sauber glänzende Abzeichen, das um die Hüfte der Fremden gebunden war. Das Zeichen Konohas – ein Ninja. Danach sah er an ihr vorbei zu dem jungen Mann mit der auffälligen Hautfarbe und den hellblau hervorstechenden Augen. Auch er trug ein Abzeichen, das ihn als Shinobi auszeichnete. Diese beiden würden in der Stadt sofort auffallen, da war er sich sicher. „Sagt uns, was ihr über Toshi no Kokka wisst.“ Die ruhige Stimme der Frau riss den alten Mann aus seinen Gedanken. Er sah wieder in die weißen Augen, die er zwar bereits aus der Ferne gesehen hatte, die in der Nähe aber eine ganz besondere Ausstrahlung besaßen. Er brummte, überzeugt davon, dass diese beiden Ninja einer Wahnvorstellung hinterherjagten, wenn sie wirklich glaubten, die Situation in Toshi no Kokka einfach so retten zu können. „Toshi no Kokka ist ein kleiner, aber sehr reicher Stadtstaat, der vor allem durch seinen großen Hafen und den direkten Zugang zum Meer profitiert. Ein friedlicher Ort, der mit starker Hand geführt wird. Zumindest war das bis vor drei Monaten so…“ Das Gesicht des Mannes wurde schlagartig düster, als er sich zurückerinnerte. „In Toshi no Kokka gibt es seit jeher zwei miteinander konkurrierende Häuser, die beide der Blutlinie des Gründers der Stadt entspringen: Das Haus Senshi und das Haus Kao. Geführt wird die Stadt von dem, der das Schwert der Könige besitzt – ein Artefakt, das laut Legenden dazu bemächtigt, ein Volk zu führen. Der letzte König, stammend aus der Senshi-Familie, besaß dieses Schwert. Doch vor drei Monaten verstarb er völlig unerwartet… und das Schwert verschwand.“ Der Mann schüttelte traurig den Kopf, bevor er wieder zu der jungen Frau und ihre männliche Begleitung blickte. „Es gibt viele Gerüchte um den Tod des alten Königs… von einem natürlichen Tod bis hin zur Ermordung habe ich schon alles gehört. Und dann auch noch das verschwundene Schwert – das gab es in der Geschichte von Toshi no Kokka noch nie. Da nun unklar ist, wer der rechtmäßige Thronfolger ist, spitzt sich die Situation in der Stadt immer mehr zu. Das Haus Senshi möchte den Thron halten, aber das Haus Kao sieht natürlich auch die eigene Chance auf den Thron…“ Er seufzte schwer. „Sie versuchen, die Situation zu klären, doch die Häuser scheinen sich immer mehr zu zerstreiten… die Gewaltausübungen auf offener Straße nehmen zu und die einst so starke Hand, die die Stadt geführt hat, fehlt. Da die Thronfolge nicht geklärt ist, kümmert sich niemand um Recht und Ordnung in der Stadt – die Kriminalität hat rapide zugenommen. Die Anhänger der Häuser kämpfen auf offener Straße miteinander. Das Vertrauen in die Häuser Kao und Senshi ist in den letzten drei Monaten zunehmend geschwunden… die Stadt steuert auf einen Bürgerkrieg zu. Das ist zumindest das, was was mir aus Toshi no Kokka berichtet wurde.“ Der alte Mann stoppte, suchte im Blick der Frau und des Mannes nach Verunsicherung – fand diese allerdings nicht. „Hm. Danke, das hilft uns schon weiter.“ Wieder hielt die Frau ihm das Geld für die Fahrt entgegen, sah einfach nur nachdenklich aus… dieses Mal zögerte er nicht. Mit einem gezielten Griff fischte er das Geld auf der Hand der braunhaarigen Frau und steckte es ein, ohne nachzuzählen. Er zog an den Zügeln und die Pferde hoben neugierig ihre Köpfe an. Es war an der Zeit, sich zu entfernen. „Entschuldigt meine Direktheit, doch ich bezweifle, dass zwei Shinobi ausreichen, um die Situation zu retten.“ Er wendete die Kutsche, um den Rückweg anzutreten und sah ein letztes Mal zu den jungen Menschen, die er hergefahren hatte. „Ihr seid mir sympathisch, also will ich euch eine Warnung und einen Ratschlag mitgeben: Haltet euch besser aus den Konflikten in der Stadt heraus und zieht euch zurück, wenn es gefährlich wird.“ Er nickte ihnen langsam zu und hob die Hand zum Abschied, bevor er mit einer Mischung aus Respekt und Sorge in der Stimme ergänzte: „Passt auf euch auf.“ Die Pferde setzten zur Bewegung an. Mari sah der sich entfernenden Kutsche nach und stemmte eine Hand in die Hüfte. Sie wandte sich mit einem seichten Lächeln Hei zu. „Was ein netter Ratschlag. Da wäre ich selbst nie drauf gekommen.“ Sie sah zu dem Schild am Straßenrand, das die Richtung zeigte, in der Toshi no Kokka lag. „Das letzte Stück müssen wir also zu Fuß gehen.“ Bereits jetzt konnte man die Meeresluft schmecken.