Kushou Joudan
Well-Known Member

Es war ein warmer Sommerabend, der gerade über der Stadt Getsurin anbrach. Die Sonne stand schon tief und hatte den Farbton eines dunklen Gelbes, das langsam ins Orangene überging, angenommen. Vielleicht noch eine halbe Stunde, dann würden ihre letzten Strahlen hinter dem Horizont verschwunden sein wo die leuchtende Scheibe sich die Nacht über auf den nächsten Tag vorbereiten würde. Hunderte, wenn nicht sogar tausende Lampions und Laternen warteten nur darauf, gegen Sonnenuntergang entzündet zu werden und die Stadt in flackerndes, tanzendes, buntes Licht zu hüllen.
Verschiedenste Stände baten traditionelles Essen zum Mitnehmen und unterwegs Essen an: Hier in Getsurin natürlich viel mit Fisch, doch auch etliche Spezialitäten aus dem Landesinneren wurden an bunt bemalten Buden feilgeboten. Mal roch es nach frittiertem Fisch, mal nach warmen Backwaren mit Zimt. Auch der Geruch von Tee in den verschiedensten Arten lag in der Luft.
Von allerorts könnte man Stimmen, Gesprächsfetzen und vereinzelt sogar Musik hören, denn in Getsurin herrschte Feststimmung. Das Daimonji-Festival war eines der ältesten und kulturträchtigsten, die der Hafenort kannte, und mittlerweile war es als "Fest der Geister" auch weit in den benachbarten Reichen bekannt. So drängten sich am heutigen Tage Besucher von Nah und Fern in die Hafenstadt, die zum Teil am Lande, zum Teil aber auch um den großen Turm nach Soragakure schwimmend auf Holzplattformen errichtet war.
Schweren Herzens nur hatte Joudan sich von seiner kleinen Schwester getrennt. Die beiden waren den Tag über zusammen in der Stadt gewesen, hatten sich durch die kulinarische Vielfalt gefüttert, an Spielständen ihr Glück und ihr Geschick getestet und zusammen sogar ein traditionelles Schauspiel betrachtet, das von einer blinden Shamisen-Spielerin begleitet wurde. Doch Joudan hatte den Abend über zu tun und alleine wollte er Rin noch nicht unter all den Menschen lassen, also hatte er sie gebeten, nach Hause zu gehen. Es war erst das zweite Daimonji-Festival, dem Rin und Joudan beiwohnen konnten, nachdem sie nach Soragakure gezogen waren, doch der Blondschopf freute sich gewaltig auf das nächste Jahr.
Der Höhepunkt des Festivals stand allerdings noch an: eine Stunde nach Sonnenuntergang würden in den Bergen Leuchtfeuer entzündet werden, die verschiedene Schriftzeichen darstellten. Dieses traditionelle und spektakuläre Ritual wurde jedes Jahr durchgeführt um die Geister um Gunst zu beten. Joudan hatte dieses Jahr das Glück, einen Job ergattert zu haben, der damit zusammenhing: Nach Sonnenuntergang sollte er, mit einer Kollegin zusammen, darauf achten, dass niemand den Feuern zu nahe kommen würde.
Joudan war kein Trottel, er wusste, was dieser Job bedeuten konnte. Er würde ihn mit einer Genin ausführen, die wahrscheinlich über seine Qualitäten und Kompetenzen Bericht erstatten würde. Entsprechend galt es heute, ein gutes Bild abzuliefern. Der blonde Akademist machte sich deshalb schon früh auf den Weg zum vereinbarten Treffpunkt um ja nicht zu spät zu erscheinen: Einer Kreuzung, von der aus ein Pfad zur der kleinen Hügelkette führte, an deren Hängen schon den ganzen Tag die Feuer vorbereitet wurden. Aus Sicherheitsgründen war der Pfad jetzt schon für Besucher gesperrt. Nur Mitarbeitern des Festes, die man an ihrer traditionellen blau-weißen Kleidung erkennen konnte, war der Zutritt gewährt.
Zwei solcher Mitarbeiter, ein junger Herr und eine junge Dame, beide wohl in ihren Mittzwanzigern, diskutierten gerade hitzig meiner Gruppe aus drei Festivalbesuchern, die alle eine rote Tengu-Maske trugen und, ihrer lallenden Intonation und mangelnder Eloquenz nach zu urteilen, schon einigen Sake getrunken hatten.
"Komm schon, Kleene, wir woll'n doch nur ma schau'n wie das von Nahem aussieht. Weißt du, wir sind sonst böse, böse Geister.", debattierte einer der Maskierten und gestikulierte dabei ausladend mit seinen Armen. Joudan hatte Angst, dass eine seiner fuchtelhaften Bewegungen die Mitarbeiterin im Gesicht treffen würde. Ein Bedenken, das die junge Brünette wohl angesichts ihrer eher ängstlich zurückgelehnten Körperhaltung teilte. Die zwei ebenfalls hinter Holzmasken versteckten Kameraden des diskutierenden Tengus stimmten in seine Drohung ein: "Uuuuuuuh, bööööse...", gaben sie von sich und imitierten dabei mit viel zu hoher Stimme ein Gespenst, dann brachen sie in schallendes Gelächter aus. Einer der beiden fing sich schneller wieder als der andere und machte Anstalten, weiter auf die Mitarbeiterin zuzugehen. "Kannst ja mitkommen, wenn de magst. Wir setzen uns in die Berge, trinken was, mal schau'n..." Die Mitarbeiterin blickte nach Hilfe suchend zu ihrem Mitarbeiter, der selbst mit einer anderen Gruppe voller Besucher, die - mit Zeichenblöcken, Federmäppchen und Holzstaffeleien bewaffnet und einer schrill debattierenden Frau angeführt - irgendetwas von einem Lehrprojekt der Kunstschule schwafelten. Betrunkene und Künstler, schlimmer hätte es kaum kommen können.
Als Joudan auf die beiden Gruppen zuging musterte er die Situation. Die Dame schien in größerer Bedrängnis zu sein, ihr würde er zuerst zur Seite stehen. Ein Blick auf die drei Pappnasen reichte Joudan um sie einzuschätzen: Kimono und Holzmasken waren billige Stangenware, mehr Verkleidung als Kleidung. Der Fusel, Sake in einer grünen Glasflasche, den einer der Tengus bei sich trug, machte keinen sonderlich wertigeren Eindruck. Die dreie hatten Taschen bei sich die darauf deuteten, dass sie wohl einen längeren Anreiseweg hatten. Solchen Besuchern ging es darum, einen möglichst ereignisvollen Abend zu haben, von dem sie den Freunden und Bekannten noch wochen- gar monatelang erzählen konnte. Die Situation war analysiert, ein passender Plan gleich geschmiedet. Zeit, der holden Maid in Not zur Seite zu stehen.
Auftritt Joudan: Sich nervös umblickend trat er verstohlen an den Tengu, der zuletzt geredet hatte, heran. "Sshht..." Mit einem zischenden Geräusch machte er auf sich aufmerksam und zog den Tengu dabei leicht an der rechten Schulter. So drehte er sich ein wenig zu Joudan und - vor allem - von der Mitarbeiterin weg. Durch die Holzmaske konnte Joudan nur wenig von seinem neuen Gesprächspartner erkennen, ein klarer Nachteil für jemanden der gelernt hatte, Mimik zu lesen und zu deuten, doch für einen betrunkenen Touristen würde das Verhandlungsgeschick des jungen Blondschopfes schon ausreichen. Er steckte seinen Kopf näher zu dem des Tengus und konnte seine Sake-Fahne riechen. Joudan musste sich Mühe geben, nicht das Gesicht in Ekel zu verziehen und ertrug es wie ein Shinobi. "Die lassen hier niemanden durch. Die Kleine hat derbe den Stock im Hintern.", flüsterte Joudan dem Betrunkenen zu und nickte dabei. Der Tengu nickte mit. Einfache Sache. "Ihr seht mir wie drei anständige Jungs aus." Joudan nickte weiter und auch der Tengu nickte, nun bestärkt, weiter. Jeder Mensch stimmte zu, wenn man ihm Komplimente machte. Und das wichtigste, wenn man andere davon überzeugen wollte, etwas Bestimmtes zu tun, war, dass sie einem zustimmten. "Erzähl's niemand anderem, aber ich weiß wie ihr an den Berg kommt. Interesse?" Der Blondschopf hatte nicht aufgehört zu nicken und der Tengu hatte es ihm gleichgetan. "Klaa...", stimmte er nickend zu. Joudan war froh, dass er auf Anhieb die richtige Wortwahl gefunden hatte um mit dem Suff-Tengu zu reden. "100 Ryou für den Tipp.", forderte Joudan und blickte sich dabei um, um dem Tengu Geheimhaltung vorzuspielen. Der Akademist war nicht nach dem Kleingeld des Besuchers her, aber wie hatte Joudan Großvater gesagt? "Was nichts kostet ist nichts wert." Entsprechend wirkte es hoffentlich authentischer auf den Tengu, wenn Joudan auch etwas für seine "Insider-Info" verlangte. Der Tengu nickte einfach weiter - wenn der Kopf einmal in Bewegung ist hört er so schnell nicht mehr auf - und kramte aus seiner Hosentasche ein Geldstück heraus, das Joudan unter verstohlenen Blicken an sich nahm. Dann deutete er in Richtung der Stadt. "Nach etwa 400 Metern kommt ein Essensstand an dem Dangos verkauft werden. Frag die Besitzerin nach dem "Bergfest Spezial", okay?" Joudan nickte wieder. Tengu nickte mit. "Was für ein Idiot...", dachte sich der Akademist. Dann blickte er zu den beiden anderen Besuchern und deutete mit dem Kopf in ihre Richtung. Diese waren immer noch dabei, mit der Angestellten zu reden, doch schnell verstand Joudans Tengu und packte beide an den Schultern. "Hey, hey, ich weiß was, kommt mal mit.", so wandte er sich an seine Freunde. Joudan konnte er erkennen, dass er dabei immer noch mit dem Kopf nickte.
Es dauerte eine weitere Minute, dann zogen die drei von dannen. Joudans Tengu rief ihm noch ein "Danke" zu, welches der Akademist mit einem strengen Blick und einem vor die Lippen gelegten Zeigefinger kommentierte. Dann waren die drei Unruhestifter verschwunden. Die Mitarbeiterin sah abgeschafft und erschöpft aus. Jammerschade, sie hatte eigentlich ein ganz hübsches Gesicht. Von Joudans heldenhafter Rettungstat hatte sie nichts mitbekommen, zu sehr hatten die beiden anderen Tengus sie abgelenkt. Nun würde er eben ein unbesungener Held bleiben, zumindest was diese Situation anging. Der Blondschopf gönnte der Brünetten noch einen kurzen Moment Verschnaufpause, die sie dazu nutzte, einen Schluck Wasser zu trinken, dann trat er an sie heran. "Zutritt verboten..", sagte sie geschafft. Joudan lächelte sie nett an und hob beschwichtigend die Hände auf Brusthöhe. "Keine Sorge, nicht das Bedürfnis nach Zutritt zu verbotenen Pfaden ist es, der mich zu Euch führt, sondern meine Arbeit. Kushou, Joudan, entsandt von der Akademie Soragakures, zu Euren Diensten, MyLady." Joudan nahm die linke Hand vor die Brust, streckte die rechte nach hinten und neigte höfisch den Kopf. Sicher, ein wenig dick aufgetragen, doch erstens würde es die Dame vielleicht erheitern und zweiten war Joudan, nachdem er mit dem Tengu geredet hatte, nach einer gehobeneren Wortwahl zumute. Wie zu erwarten blickte die Brünette ihn ein wenig verdutzt an. "Ich hoffe, mein verfrühtes Eintreffen vermag es nicht, Euch in Verlegenheit zu bringen, gedachte ich doch, hier auf meine verehrte Kollegin zu warten." Langsam machte es "Klick" bei der Mitarbeiterin. "Ah, die Shinobi, ja... Warte doch einen Moment bis deine Kollegin da ist, dann können wir die Lage besprechen.", gab sie zurück. "Vortreffliche Strategie, einer wahren Feldherrin würdig gesprochen!", rief Joudan aus und entlockte der Brünetten damit ein Lächeln. Dann stellte er sich neben sie und begann, ein wenig zu plauschen, während er auf die Genin wartete.